Im Seattler Stadtteil Wallingford, Universitätsviertel und Residential Area, versteckte sich lange das bestgehütete Geheimnis der hiesigen Americana-Szene in einer unscheinbaren Bar namens »Al’s Tavern« (unten im Video zu sehen), mit Craftbier, Fernseher, Pinball-Automaten und Seattle-Kraken-Merchandise an der Wand. Hier arbeitet der Barkeeper und Musiker Dean Johnson. Selbst wurde er auf die Bar aufmerksam, weil man hier Billard um nur 25 Cent spielen kann, und das schon seit immer. Vom Stammkunden, der immer erst kurz vor Mitternacht kam, um nicht zu viel zu trinken, wurde er zum Barkeeper. Und hin und wieder spielte er Lieder auf seiner Gitarre und sang mit seiner Tenorstimme dazu. Er veröffentliche nie Songs, die Musik existierte nur bei spontanen Live-Darbietungen. Die Mundpropaganda und das Interesse wurden immer größer, doch Johnson hatte wenig Interesse daran, sich ins Rampenlicht zu stellen.
Fürs erste spielte Johnson nur E-Gitarre und sang Backing Vocals in der Band The Sons of Rainier, unter anderem mit Sänger Chris Acker. Eine wirklich tolle Americana-Band, die aber (bis heute) wenig Aufmerksamkeit bekam. Johnson wollte auch nicht live mit ihnen spielen, ließ sich aber hier und da zu einem Gig überreden. Er zeigte seinen Bandkollegen Demos seiner Songs, was dazu führte, dass diese ihn ermutigten, ein Album aufzunehmen – doch auch darauf hatte er vorerst keine Lust. Es brauchte acht Jahre und viel Überzeugungsarbeit von Freunden, Musikern und Stammgästen in Al’s Tavern, bis Johnson endlich einwilligte: Er würde sein Debütalbum aufnehmen und veröffentlichen. Doch so einfach war es dann auch nicht. Das Album wurde während der Pandemie fertig und Johnsons Publisher wollte es nicht während Abstandsregeln, Maskenpflicht und Impfungen veröffentlichen. Allerdings wurde das Album auf SoundCloud versteckt hochgeladen und verbreitete sich via Link in Seattle schon vor dem offiziellen Release. Und so dauerte es noch weitere drei Jahre, bis dann endlich 2023 »Nothing For Me, Please« auf dem Label Mama Bird Records erschien.
Der Sound des Albums ist geprägt durch ein minimalistisches Low-Fidelity-Produktionsdesign. Wenige Spuren, wenige Mikrofone, keine Overdubs. Gesang und Akustikgitarre sind die Hauptakteure, gepaart mit gebrushten Drums, Steel Guitars und Kontrabass. Aber der wahre Star sind die Texte und der hohe Gesang von Johnson. Wenn jemand seit 20 Jahren Musik macht und Songs schreibt und sein erstes Album im Alter von 50 Jahren veröffentlicht, kann man sich vorstellen, wie ausgereift die Stücke sein müssen, nachdem so lange an ihnen gefeilt wurde. Dabei sind die Nummern keineswegs verkopft, kompliziert oder perfekt – vielmehr sind sie so reflektiert, ehrlich, intim, selbstironisch und bedacht, wie sie nur von einem Menschen sein können, der schon viel gelebt, geliebt und gelitten hat. Johnson erzählt auf dem Album von Obdachlosigkeit, Besitzanspruch in romantischen Beziehungen und der Ablehnung des ewigen Lebens. Schnell wurde »Nothing For Me, Please« über den Pacific Northwest hinaus zu einem Kultklassiker und – neben einer Werbung für Cowboyboots – auch auf dem einflussreichen YouTube-Channel »Country AF« gefeatured.
Still playing the same old songs
Und nun geht die Story von Dean Johnson ohne große Zurückhaltung und falsche Bescheidenheit weiter: Das neue Album »I Hope We Can Still Be Friends« erscheint am 22. August 2025 auf dem Label Saddle Creek. Mit seiner Produzentin Sera Cahoone nahm Johnson in einem Studio in Anacortes, WA, vierzehn Tracks auf, von denen elf auf dem Album zu finden sind. Ein weiterer Titel, »Blue Moon«, wurde vorab gemeinsam mit dem Lucinda-Williams-Cover »Lake Charles« als EP veröffentlicht. Schon die erste Single-Auskoppelung »Before You Hit the Ground« ist einer seiner besten Songs auf dem Album. Johnson begann ihn 2009 zu schreiben und beendete ihn in den 2020ern. Das Stück zeigt, dass Johnson nach wie vor aus demselben Pool von Songs schöpft wie zuvor und da weitermacht, wo er aufgehört hat, wenn auch der Sound mehr High Fidelity ist. Es geht um Herzschmerz und die Suche nach Optimismus in einer schwierigen Zeit. »How do you put the sun in a song? / I still can’t find a way / I don’t know why, but I always get it wrong / And they come down like a rainy day«, heißt es in den ersten Lines. Wenn man das Musikvideo dazu sieht, wird klar, dass Johnson auch der Humor erhalten geblieben ist.
Einer der, Johnson zufolge, »comedy songs« auf dem Album ist »Death of the Party«. Es geht um »energy vampires«, Menschen, die nichts außer anstrengend sind und ihrem Gegenüber so alle Energie rauben. In diesem Stück erkennt man das beobachtende Talent Johnsons, das man so wahrscheinlich nur als Barkeeper entwickeln kann. »Words dont’t come easily to me / I notice you don’t have that problem / It sounds to me you cannot stop them«, heißt es zu Beginn. Langsam baut sich immer mehr Grant auf, bis Johnson merkt, dass die Person einfach nur einsam ist … Aber auch das ist ihm irgendwann egal und er kommt zum Fazit: »Don’t you know you’re just a bag of wind? / Shut your mouth and maybe make a friend«. Eine clevere Überlegung liegt auch dem Song »So Much Better Now« zugrunde: Ein heartbroken Johnson wünscht sich, sein Gedächtnis gelöscht zu haben, um nicht mehr leiden zu müssen, wenn er seine Ex auf der Straße sieht. Am Ende scheint das Ganze aber doch keine gute Idee zu sein: »Did I ever learn to swim? / It doesn’t look that hard / I think I’ll dive right in«. Das soll uns also sagen, dass Schmerz und Fehler wichtig sind, um daraus zu lernen.
Zum Ende des Albums wird es nochmal richtig emotional. Seinen ersten Song, passenderweise mit dem Titel »A Long Goodbye«, schrieb Johnson 2004. Und dass dieser mehr als 20 Jahre Reifung in sich trägt, spürt man in jeder Sekunde. Und dennoch klingt er nicht alt, sondern zeigt, wie universell Herzschmerz ist, egal, wie alt man ist. Auch der wieder etwas humoristisch angehauchte Ansatz, mit den Vorwürfen und Unterschieden der anderen Person umzugehen und auch Wut und Verletzlichkeit zuzulassen, scheint ein funktionierender Ratschlag zu sein, damals wie heute. Und genau das ist die Magie dieses Künstlers und dieses Albums: Clevere Beobachtungen und originelle Gedankengänge, verpackt in lustiger bis bildgewaltiger Sprache, werden immer relevant und verbindend sein, unabhängig davon, wie alt die Musik oder der Künstler ist. Zeitlose Lieder über die Liebe werden immer relevant sein. Und übrigens: In allen Heartbreak-Songs auf beiden Alben geht es um eine einzige Frau aus Oklahoma, mit der Johnson in den 2000ern zu tun hatte. Er sagte auch, dass er noch sehr viel mehr Songs auf Lager habe und sich freue, diese bald zu veröffentlichen. Vielleicht wird der schüchterne Barkeeper, Seattles worst kept secret, ja doch noch zur Rampensau.












