Das Album »Wiener Blut« war 1988 der Matchpoint in Falcos Karriere. Und das Spiel ging verloren. Schon das Vorgängeralbum »Emotional« hatte 1986 den kommerziellen Erwartungen nicht standhalten können. Immerhin warf es mit »Coming Home (Jeanny, Part 2, Ein Jahr danach)« einen Nummer 1 Hit ab und war in den deutschsprachigen Ländern ein großer Erfolg. Danach wollte Falco eine Veränderung. Er wollte mehr singen und weniger rappen. Darum trennte er sich von dem holländischen Produzententeam Bolland&Bolland, das ihn mit dem Hit »Amadeus« in den Pop-Olymp befördert hatte. Als Ersatz heuerte er Günter Mende und Candy de Rouge an. Die hatten bereits Jennifer Rush in die internationalen Charts gehievt. Jetzt sollten sie für Falco Songs schreiben. Wie immer ergänzte Falco die fertig produzierten und vorgegebenen Songs mit seinen Pop-Cluster-Lyrics. Das geplante Album sollte »Aya« heißen. Falco, ein Meister der Anspielung, hatte sich die letzte Silbe der geplanten Single »Sand am Himalaya« zum Albumtitel erkoren. Gleichzeitig spielte er natürlich auf Steely Dans Album-Klassiker »Aja« an. Den Abschluss des Albums bildet dann auch eine ziemlich laue Coverversion des Steely-Dan-Songs »Do It Again«.
Halbgare Produzentenschmiede Bolland&Bolland
Der größte Teil der Aufnahmen mit Mende und de Rouge wurden dann aber nicht veröffentlicht und das Album »Aya« verworfen. Vermutlich war die Plattenfirma mit dem für Falco untypischen Material nicht zufrieden. Falco rappte nicht, er sang. Vor allem der von Mende & de Rouge ohne Beteiligung Falcos geschriebene Titel »The Spirit Never Dies«, der als »Jeanny Final« ins Rennen gehen sollte, war enttäuschend. Also kehrte Falco reumütig zu den Bolland-Brüdern zurück. Die recycelten dann Material, das sie schon für das 1985er-Album »Falco 3« geschrieben hatten und peppten es mit frischen Beats auf. Und Falco rappte wieder. Sechs Titel produzierte Falco auf die Schnelle mit den beiden, die auf die erste Albumseite gepackt wurden. Auch die Bollands versuchten sich an einem dritten »Jeanny«-Teil. Sie kleisterten hastig und gänzlich ohne Beteiligung Falcos die Gesangsspur der englischen »Jeanny«-Version mit einer kitschig-schleimigen Melodie zusammen. »Where Are You Now?« hieß der Titel, der es absolut zu Recht nicht auf die Platte geschafft hat.
Auf Seite 2 landeten vier Mende/Derouge-Titel. Zwei davon sind bombastischer Kitsch (»Read a Book«, »Walls of Silence«), einer ist sehr gelungen (»Solid Booze«) und einer ist ein anspielungsreiches Meisterwerk (»Sand am Himalaya«). Der Bolland-Song »Wiener Blut« ist komplett und konsequent im Wiener Dialekt gerappt. Ein ätzender Song über den Wiener Korruptionsfilz. Eine mutige Entscheidung, wenn man auf dem internationalen Markt reüssieren will. Der Höhepunkt des Albums ist aber das Bolland-Stück »Tricks«, in dem sich Falco mit seinen selbstreflexiven Lyrics (»Wollt ihr ’nen Liedermacher oder einen Star?«) selbst übertrifft. Auch die anderen Bolland-Stücke brauchen sich nicht zu verstecken. In dieser Form wurde das Album im Herbst 1988 unter dem Titel »Wiener Blut« veröffentlicht und verendete kurz danach auf Platz 9 in den deutschen Album-Charts. Die geplante Tour musste mangels Nachfrage abgesagt werden. Die Platte hat diesen Misserfolg nicht verdient. Aber Falco wirkte in den Zeiten des aufkommenden Eurodance, Acid House und Techno plötzlich wie ein Dinosaurier. Der Ruhm von »Amadeus« war verblasst. Und die größte Enttäuschung für die Fans war, dass das Album kein »Jeanny 3« enthielt.
Flop mit Robert Ponger
Mit dem nächsten Album »Data de Groove« kam es noch schlimmer. Es war ein totaler Flop. Die Rückkehr zum Produzenten Robert Ponger wirkte ziemlich verzweifelt. Ponger hatte für ihn 1981 den Welterfolg »Der Kommissar« geschrieben und produziert. Jetzt sollte er Falco zurück auf Erfolgskurs bringen. Falco hatte fieberhaft an den Lyrics der Platte gearbeitet. Vor allem der Titelsong »Data de Groove« ist ein Meisterwerk. Es klingt wie Stock/Aitken/Waterman auf LSD. Der Text ist in einer rein nach Wortklängen gestalteten meisterhaften Kunstpoesie geschrieben (»The mega the score, desto mono de chrome«). Immerhin produzierte Ponger für Falco vier Songs, die zum Besten gehören, was er je gemacht hat. »Charisma Kommando« ist eine komplexe Dancefloor-Kathedrale, ebenso »Expocitiyvisions«. Und dann ist da noch das poetische Manifest Falcos: »Neonothing – Post of All«. Der Rest der Platte wirkt, als hätten die beiden die Lust verloren oder kein Geld mehr für eine vernünftige Produktion gehabt. Songs wie »Pusher« oder »Tanja P. nicht Cindy C.« liegen weit unter Falcos Niveau. Und »Bad Minor (Jeanny Dry)« macht sich ziemlich grausam über Fans lustig, die immer noch auf einen späten dritten Teil von »Jeanny« gehofft hatten.
Neuauflage mit Extras
Warner hat die beiden Alben jetzt dankenswerterweise neu aufgelegt. »Wiener Blut« enthält sämtliche Versionen der eigentlich nicht im Album enthaltenen Single »Body Next To Body«. Ein von Giorgio Moroder produzierter halbherziger und zu Recht gescheiterter Versuch, mit Hilfe von Brigitte Nielsen in den USA wieder Fuß zu fassen. In der Version, in der Nielsens semi-erotisches Gestöhne herausgeschnitten wurde, merkt man erst, wie gut die Single hätte sein können. Leider bleiben Falcos gelangweilt zusammengerührte Lyrics trotzdem ziemlich mau, ganz abgesehen von Brigitte Nielsens frostigem Gefriertruhen-Erotik-Gesang. Großartig dagegen sind die unglaublichen Remixe von »Wiener Blut«, »Satellite to Satellite« und »Do It Again«. Völlig unverständlich ist, warum nicht versucht wurde, das verworfene Album »Aya« zu rekonstruieren. Das wäre für Fans absolute Vollbedienung gewesen. Immerhin war das Projekt recht weit gediehen. Und einige Songs aus »Aya« sind ja in anderem Kontext bereits veröffentlicht worden. Schade.
Bei »Data de Groove« wird nach dem gleichen Muster verfahren. Sämtliche Remixe, die damals veröffentlicht wurden, sind dem Album auf einer zweiten CD hinzugefügt. Und wie immer zeigen die Remixe, welches Potenzial in den Songs noch steckte. Außer bei »Tanja P. nicht Cindy C.«, der das ganze Elend dieses Songs auch noch streckt und verlängert. Falcos Karriere erholte sich von diesen beiden Tiefschlägen nicht mehr. Er scheiterte an einer Art überambitionierter künstlerischer Unentschlossenheit. Statt entschlossen seinen Weg zu gehen, ließ er sich vom kommerziellen Opportunismus der Label-Manager treiben. Was wäre mit diesem Künstler noch alles möglich gewesen, hätte er den Mut gehabt, sich durchzusetzen. Alles, was er nach »Wiener Blut« und »Data de Groove« produzierte, war auf die modernisierte Bedienung seiner Stammkundschaft ausgerichtet und zielte auf sein kommerzielles Überleben.