»Picasso begann erst mit dem spanischen Bürgerkrieg, politisch zu werden. Er setzte sich für Flüchtlinge ein. Der Anarchismus interessierte ihn.« Die britische Kuratorin Lynda Morris forschte Picassos sozialem Denken nach. Aber auch seiner Zeit: »Picasso blieb beim spanischen Kommunismus, weil er dachte, dass dieser die stärkste Waffe gegen General Franco und seine Diktatur wäre.« Wir sitzen auf einer Bank inmitten der von ihr und Christoph Grunenberg (Tate Liverpool) kuratierten Picasso-Ausstellung »Frieden und Freiheit« in der Wiener Albertina. Es ist das Jahr 2010! (Denn diese Notizen habe ich erst jetzt durch extremes Aufräumen aus Corona-bedingter Veränderungswut wiedergefunden.) Die ältere Britin ist ganz in Schwarz gekleidet, mit einem Friedenszeichen auf der Bluse: »Picasso nutzte seine finanziellen Mittel, um Waisenhäuser und Krankenhäuser zu unterstützen. Er kaufte eine Menge Personen aus dem Flüchtlingslager an der spanisch-französischen Grenze heraus. Darunter seine eigenen beiden Neffen, aber auch Freunde. Die Franzosen inhaftierten nämlich die vor Franco geflohenen Menschen in geschlossenen Camps.«
Kämpfer versteckt
Eine halbe Million Menschen flüchtete damals aus Spanien nach Frankreich. »Viele davon aus Osteuropa, nicht wenige Juden dabei. Es war sehr bewegend, im Picasso-Archiv die Briefe der jüdischen bzw. Frauen-Organisationen aus Osteuropa zu finden. Es war ein Kampf von Frauen, die Gesellschaft wiederaufzubauen. Picasso finanzierte zum Beispiel Ende der 1950er-Jahre eine Mädchenschule in Tel Aviv. So kam er später auch in Kontakt mit feministischen Künstlerinnen wie Adrian Piper, deren Mütter Lefties waren.« In der Ausstellung waren sehr schöne Zeichnungen dazu zu sehen, zum Beispiel ein Briefumschlag der Women’s International Zionist Organisation mit Picassos Skizze einer Menora (ähnelt einem kleinen Baum) darauf oder ein Plakat der Union des Jeunes Filles de France mit Picassos Bleistiftzeichnung »Der kleine Blumenstrauß« aus 1958. »Wir nehmen Picasso den reichen Sammlern weg», lächelt Lynda Morris, deren Großmutter über einen Raum auf ihrem Dachboden verfügte, in dem sie Menschen versteckte, die sich den internationalen spanischen Brigaden anschlossen. Sieben Jahre lang forschte die Kuratorin für ihr Ausstellungsthema.
Frauen, Musketiere und Afrika
»Picasso erzählte fast nichts über das, was er machte, also wussten die Leute nichts davon. Nur Menschen, denen er vertraute. Die McCarthy-Ära beeindruckte ihn gewaltig. Denn es waren die Juden aus Osteuropa, die den Kommunismus mitgebracht hatten.« Neben uns wird der wortgewaltige Albertina-Direktor vom Fernsehen interviewt. Wir sind im Weg. Scheinwerfer leuchten auf. Picasso hatte Telegramme geschickt, um zum Beispiel einem polnischen Juden zu helfen, der eingesperrt worden war. »Leute, die aus dem Konzentrationslager kamen, wurden in den USA wegen Kommunismus in Lager gesperrt«, schüttelt die Kuratorin den Kopf. »Republikanische Flüchtlinge wurden bis in die 1950er-Jahre hinein verfolgt.« Picasso arbeitete viel mit Zeitungen zusammen, seine Zeichnungen erschienen auf dem Cover. In Picassos letzten Jahren überwiegen zwei Themen – Frauen und Musketiere: »Er stellte Musketiere als streitbare Kämpfer dar, als überhebliche Soldaten, geckenhaft und lächerlich in ihrer selbstgefälligen Virilität.« Die Albertina-Ausstellung begann mit Picassos Eintritt in die Kommunistische Partei 1944. 1957 und 1962 stellte Picasso in Harare in Simbabwe aus. Auch sein Engagement für afrikanische Künstler war groß. So hatte er den afrokubanischen Maler Wifredo Lam, der sechs Jahre lang in Spanien kämpfte, kennengelernt. Lams Großmutter war eine Sklavin aus dem Kongo, verschleppt nach Kuba, gewesen. Lam und Picasso stellten bereits 1939 gemeinsam in New York aus. Picassos letzte Frau Jaqueline Roque hatte sechs Jahre lang in Afrika gelebt, bevor sie ihn heiratete. 1965 erklärte sich Picasso solidarisch mit Vietnam.
»Picasso: Frieden und Freiheit«, Wiener Albertina, in Kooperation mit der Tate Liverpool, 22. September 2010 bis 16. Jänner 2011.