Zu Beginn des Films gibt der Hamburger Innensenator Andy Grote in holprigen Worten ein Statement, das den ganzen G20-Schmarrn gut zusammenfasst. Er, Grote, habe »eine Chance gesehen, neben dem Treffen einer internationalen Regierungskonferenz auch eine lautstarke Zivilgesellschaft mit auf der Bühne zu haben.« All the world’s a stage – schon klar. Neben der ganz offensichtlichen Falschaussage – denn niemals kann die hamburgische Politik erklären, wieso all die repressiven Maßnahmen gesetzt wurden, wenn doch auch dem Protest Gehör verschafft werden sollte – zeigt die Äußerung klar, um was es eigentlich ging: um einen schönen Fototermin mit »Politstars« aus aller Welt, von denen einige halt Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben (man kann sich seine Gäste nicht immer aussuchen), und im Hintergrund geht in sanftem Licht die Sonne über der neuen Elbphilharmonie unter. Die Stadt, genauer gesagt ihre politische und ökonomische Elite, wollte sich international einfach ein bisschen selbst bewerben. Diesen dümmlichen Plan zumindest in Teilen verhindert zu haben, dafür sollte den Protestierenden zunächst einmal gedankt werden.
Rund um den G20-Gipfel, seinen unerwartet gewalttätigen Polizeieinsatz und die folgenden Straßenkämpfe entspinnt sich allerdings ein Tableau, das weit tiefer in aktuelle bundesdeutsche Verhältnisse blicken lässt. Die Veranstaltung geriet zum Desaster, weil die hamburgische Politik, ausgehend vom ersten Bürgermeister Olaf Scholz, sich erneut durchsetzungsstark zeigen wollte. Durch die Personalie des berüchtigten Hartmut Dudde und dessen sogenannter »Hamburger Linie« wurde dies von Beginn an deutlich gemacht. Duddes programmatische Äußerungen wie: »Wir lassen nichts zu und schreiten immer ein« und »Ein Wasserwerfer hat keinen Rückwärtsgang« waren ein klares Zeichen. Es geht um starke Männer und ihren Versuch, eine kritische und plurale Öffentlichkeit einzuschüchtern. Die angeblich um Recht und Ordnung besorgte Politik stellte mit Hartmut Dudde zudem einen Mann als Gesamtpolizeiführer in Dienst, der sein rechtswidriges Verhalten bereits mehrfach von Gerichten bestätigt bekommen hatte. Weil vieles rund um den G20-Gipfel ein Kampf um Deutungshoheit und mediale Inszenierung ist, bemühte man sich dementgegen im Vorfeld nach Kräften, die DemonstrantInnen zu kriminalisieren. Ein nicht einfaches Unterfangen, schließlich hatten diese kaum mehr vor, als durch Sitzblockaden zu verhindern, dass Trump und Erdogan rechtzeitig ihren Labskaus serviert bekommen. Vorwürfe angeblich geplanter Anschläge und sonstiger schwerwiegender Rechtsbrüche blieben bis heute ohne hinreichende Beweise.
Flucht über die Flutschutzmauer
Der Film ist ein hilfreiches Dokument, indem er Szenen aus dem Demogetümmel bietet. Längst sind Demos dieser Art auch Medienphänomene, im Grunde filmen alle Beteiligten mit. Nur sind dies jeweils immer nur Spotlights. Die dramatischsten Aufnahmen enden meist mit wilden Schwenks in den Himmel, weil die Kamerafrau oder der Kameramann weglaufen müssen. Zu den eigentlichen Vorgängen müssen somit viele Fragen offen bleiben. Warum sich die Polizei am Donnerstag, dem 6. Juli 2017 zum frühzeitigen Stopp der Großdemo »Welcome to hell« gezwungen sah, ist auf keiner Aufnahme recht zu erkennen. Weshalb glaubte sie, den »schwarze Block« vom Rest der Demo abtrennen zu müssen? Wenn unmittelbar zuvor Waffen in Form von Zaunlatten verteilt wurden, warum wurden diese dann nicht konfisziert? Außerdem, wo sind die Spotlight-Filmaufnahmen, die dies belegen? War es ein Versuch der Polizei, einen »Kessel« zu machen, dem sich die DemonstrantInnen durch Flucht über eine Mauer entziehen konnten? Nahm die Polizei dabei in Kauf, durch die von ihr (grundlos?) ausgelöste Panik Leben zu gefährden? War es eine Unachtsamkeit oder hatte es Methode?
Dies alles müsste parlamentarisch und gegebenenfalls vor Gericht untersucht werden. Derweil sind die Vorgänge kaum eindeutig zu beurteilen. Die zuweilen robuste Art der Hamburger Polizei ist allerdings seit langem gut dokumentiert und auch ihr flexibles Verhältnis zur Wahrheit. 1994 prügelten beispielsweise Hamburger Zivilpolizisten den ARD-Journalisten Oliver Ness bei einer Jörg-Haider-Kundgebung am Hamburger Gänsemarkt krankenhausreif. Manche der Verletzungen hinterließen bleibende Schäden. Die Behauptung, Ness sei Anführer einer linksradikalen Anti-Haider-Demonstration gewesen, erwies sich als falsche Tatsachendarstellung durch die Polizei. Im Prozess sagten Polzisten zugunsten Ness’ aus und durchbrachen den Corpsgeist, was ihnen wiederum Morddrohungen einbrachte. Hierin liegt eine Entwicklung verborgen, die sich bereits zu einer Bedrohung des Rechtsstaates ausgewachsen hat.
Wie prekär die aktuelle Lage in Hamburg ist, legt im Film Lino Peters, ein Mitglied des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins dar, zu dem übrigens auch SPD-Granden wie Gerhard Schröder und Olaf Scholz gehören. Wenn das Hanseatische Oberlandesgericht denjenigen DemonstrantInnen, die sich beim G20-Gipfel der Polizei entgegenstellten, unterstellt, diese hätten damit der Staatsgewalt als solcher ihre Ablehnung bekundet, dann versteht sich hier der »Staat« gegenüber den DemonstrantInnen (deren einzelne Motive er faktisch nicht kennen kann) als ein Ganzes und vergisst dabei, dass die DemonstrantInnen BürgerInnen eben dieses Staates sind. Polizei, Justiz und Politik gerinnen zu einem Machtblock, dem die BürgerInnen gegenüberstehen. Eine solche Preisgabe der Gewaltenteilung und die damit verbundene Leugnung, dass innerhalb eines Staates divergierende Interessen existieren, sind gleichbedeutend mit einem Ende der Demokratie.
Schutzbewaffnung Gummitier
Nach der gewaltsamen Zersprengung der Großdemo fanden sich die Demonstrierenden bald wieder ein und schoben Duddes Allmachtfantasien durch Selbstermächtigung einen Riegel vor. Am folgenden Gipfeltag, dem 7. Juni 2017, ging sogar die »Fingertaktik« auf und den an vielen Stellen gleichzeitig agierenden DemonstrantInnen gelang es, in den für die G20-Tagung abgeriegelten Bereich vorzudringen. In einer der wohl »besten« Aufnahmen des Films sieht man einen einzelnen Polizisten lustlos vorbeigehende PassantInnen mit Pfefferspray besprühen. Eine Handlung aus offenkundiger Verzweiflung. Es waren einfach viel zu viele DemonstrantInnen, die selbst von den zehntausenden PolizistInnen nicht mehr an allen Stellen aufgehalten werden konnten. Folglich musste Donald Trump umdrehen und einzelne Veranstaltungen wurden abgesagt. Ein Punktgewinn, auf den die Polizei erneut mit Gewalt regierte. War es der Frust des Scheiterns, der zu Bestrafungsmaßnahmen führte und die individuellen Gewaltausbrüche einzelner Mitglieder der Polizei erklärt? Vermehrt wurde auf DemonstrantInnen eingeprügelt, die sich mit Luftmatratzen und aufblasbaren Gummitieren gegen die zu erwartenden Schläge behängt hatten. Es kam trotz dünner Beweislage zu Inhaftierungen, die Züge der Folter hatten, durch ununterbrochen brennendes Zellenlicht, unzureichende Nahrung und sonstige Maßnahmen zum anscheinend gezielten Herbeiführen von Leiden. Der Zugang zu rechtsanwaltlichem Beistand wurde verwehrt.
Gegen Abend kippte die Lage. Gehwegplatten wurden zerschlagen und immer mehr Steine flogen auf die Polizei. Brach sich jetzt der Unmut durch die schlechte Behandlung Bahn? Die entscheidende, bis heute aber ungeklärte Frage ist, warum ließ die Polizei im »linken Szeneviertel« der Hamburger Schanze die Eskalation so lange zu? Barrikadenbau, Feuer und Ausschreitungen innerhalb eines scheinbar rechtsfreien Raumes zu unterbinden, war ja festes Versprechen von Politik und Polizei gewesen. Fühlte sich die Polizei wirklich durch Steinbewurf von Hausdächern bedroht, von deren Möglichkeit ihr »Quellen« verraten hatten? Beweise dafür blieb die Polizei auf parlamentarische Anfrage hin schuldig. Sollte also vielmehr nachträglich die eigene Härte gerechtfertigt werden?
Thomas Wüppesahl, ehemaliger grüner Bundestagsabgeordneter und Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten, sieht die Gründe im Chaos bei der Einsatzleitung. Der Frust, den reibungslosen Ablauf nicht hinbekommen zu haben, führte zur Taktik, die Demonstrationen sich aufschaukeln zu lassen. Dabei war der Rahmenbefehl Duddes eindeutig gewesen: Bei kleinsten Anlässen einschreiten! Wenn dies auf der Schanze unterbleibt, dann ist das Willkür. Als dann noch die Ordnungskräfte mit Gewehren und Maschinenpistolen in das Viertel vordringen und – möglicherweise rechtswidrig – Gummigeschosse mit Granatwerfern abfeuern, ist das »Chaos« vollendet. Die Bilder brennender Barrikaden und schwervermummter PolizistInnen mit Granatwerfern dominierten wochenlang die deutsche Öffentlichkeit, die an solche Auswüchse nicht gewöhnt ist.
Merkwürdiges Muster
Die Ausschreitungen um den G20-Gipfel, dessen Logo übrigens zwei sich zuziehende Schlingen sind, führten zeitnah zu Gesetzesverschärfungen. Weitergehende Kompetenzen für länderübergreifende Ermittlung gegen Linksextremisten wurden durchgesetzt und nachdem die Schanze brannte, wurden sogar mit dem Argument der Generalprävention die Strafen gegen Personen verschärft, die sich zum Zeitpunkt der Schanzen-Riots bereits in Haft befanden. Wer so argumentiert, ist an Rechtspflege nur mehr peripher interessiert, denn Haftgründe anzugeben, die entstanden sind, während eine Person bereits in Haft ist, klingt nicht nur widersinnig, das ist es auch. Ziel der massenhaften Verurteilungen und der langwährenden Untersuchungshaft scheint die Einschüchterung zukünftiger DemonstrantInnen zu sein. Ob Kölner Silvesternacht, Anti-Burschenschaftler-Ball-Demo in Wien oder eben G20, hier zeigt sich längst ein Muster, bei dem gewisse schlecht bewiesene und gerichtlich nur unzureichend aufgearbeitete Vorfälle mit willfähriger Unterstützung des Boulevards politisch instrumentalisiert werden.
Der Film endet beinahe versöhnlich mit den friedlichen Bildern der Demonstrationen vom Samstag, dem 8. Juli 2017. An diesem Tag zeigen die Menschen in Hamburg, dass sie sich von den pausenlos über ihnen kreisenden Helikoptern keine Angst machen lassen. Es mag noch so viel polizeiliche und publizistische Repression geben, die Stadt zeigt sich dem gewachsen. Dass es den FilmemacherInnen leider nicht gelang, auch Stimmen der „anderen Seite“ einzuholen, etwa von Olaf Scholz oder dem berüchtigten Hartmut Dudde, ist sicherlich eher der gesellschaftspolitisch aufgeheizten Gesamtlage und der Persönlichkeit dieser AkteurInnen geschuldet. Olaf Scholz verwaltet gerade den Untergang der SPD, da hat er auch genug zu tun.
An folgenden Terminen wird der Film präsentiert:
06.03.2018 – Premiere im Abaton Kino, Hamburg
10.03.2018 – Curly Cow, Witten
11.03.2018 – Rex am Ring, Köln
13.03.2018 – Kino in der Reitschule, Bern
13.03.2018 – City Kino Wedding, Berlin
15.03.2018 – Kino Union, Berlin
20.03.2018 – Kino Endstation, Bochum
21.03.2018 – Luru Kino, Leipzig
29.03.2018 – Kino Arsenal, Tübingen
25.04.2018 – Kino Universum, Braunschweig
03.05.2018 – Peter Weiss Haus, Rostock
17.05.2018 – Filmcasino, Wien
06.06.2018 – Kunstverein Nürnberg
23.06.2018 – JUZ Burglengenfeld
14.07.2017 – SubstAnZ, Osnabrück
Am 17. Mai 2018 findet im Rahmen von »Salon skug« die Österreichpremiere des Films im Wiener Filmcasino statt. https://www.facebook.com/events/192016008188740/
Dieser Text erschien erstmalig in der aktuellen MALMOE 82. Für FreundInnen des gedruckten Wortes auf »guten Seiten in schlechten Zeiten« gibt es hier das Abo: http://malmoe.org/abo