James Hetfield und Metallica beim Auftritt in Cardiff während der »Load« Tour 1996 © Andrew King, Wikipedia Commons, CC BY-SA 2.0
James Hetfield und Metallica beim Auftritt in Cardiff während der »Load« Tour 1996 © Andrew King, Wikipedia Commons, CC BY-SA 2.0

Weich und schwer: Metallicas »Load« nach (fast) 30 Jahren

1996 brachten Metallica das vielleicht kontroverseste Metal-Album des Jahrzehnts heraus: »Load«. Sie wollten mehr sein als »nur« die größte Metal-Band der Welt. Neuer Look, teils weichere Töne – vielen Fans galt das als Verrat. Fast drei Jahrzehnte später erscheint nun ein Remaster samt Boxset.

1983 brachten Metallica ihr Debüt »Kill ’Em All« heraus – ein bahnbrechendes Dokument der aufkeimenden Thrash-Metal-Szene in der Bay Area um San Francisco: Speed, Stakkato, gesellschaftskritische Haltung. In den folgenden Jahren verfeinerten sie diesen Sound immer weiter, getrieben vom Anspruch, besser und einzigartiger zu werden. Es folgten »Ride the Lightning«, »Master of Puppets«, »…And Justice for All« und natürlich das selbstbetitelte »Black Album«, der große Welterfolg – sie alle gelten als Klassiker. »Load« erschien 1996, nur 13 Jahre nach dem Debüt – und gehört somit, nüchtern gerechnet, noch zum »Frühwerk« der Band. Inhaltlich markiert es wiederum den vielleicht größten Umbruch der Bandgeschichte. Obwohl Metallica immer wieder auf die frühen Zeiten reduziert werden, sind sie bislang nicht in der Rolle eines reinen »Legacy Acts« erstarrt. Auch nach der »Load«-Phase veröffentlichten sie immer wieder neue Musik. Das geschah lediglich in größeren Abständen, mit längeren Tour-Zyklen und mehr Raum fürs Privatleben: Lars Ulrich (Drums) sammelte Kunst, James Hetfield (Leadgesang, Rhythmusgitarre) ging auf Bärenjagd, Kirk Hammett (Leadgitarre) ging surfen. Und Jason Newsted (Bass), seit nun über 20 Jahren schon durch den fröhlichen Robert Trujillo ersetzt? Er blieb seinerzeit der Stillste im Quartett, einer, der sein Privatleben konsequent im Hintergrund hielt – so wie seine Bassspuren teils auf Geheiß von Hetfield und Ulrich in den Hintergrund gemischt wurden (Der Titel eines Bootlegs mit hervorgehobener Bassspur lautet: »…And Justice For Jason«).

Als »Load« im Sommer 1996 erschien, las ich als Schüler monatlich den »Metal Hammer«. Dort wurde die Platte zum »Album des Monats« gekürt, mit ungewöhnlich hohen Bewertungen. Chefredakteurin Andrea Nieradzik nannte es Metallicas kreativste Leistung seit »Ride the Lightning« von 1984. Doch nicht alle zogen mit: Thrash-Experte Oliver Recker vermisste »das nötige Holzbrett«. Im traditioneller orientierten »Rock Hard« zeigte sich Michael Rensen gar vollkommen ernüchtert – er vergab nur ein »noch gut«. Für eine einflussreiche Band der Größenordnung Metallica war das beinahe ein Todesurteil. Diese Stimmen aus dem Kern der deutschsprachigen Metal-Kultur bringen die damalige Rezeption auf den Punkt: ein kommerzieller Erfolg, begleitet von massiven Irritationen über den Stilbruch.

Dieser Bruch zeigte sich nicht nur musikalisch, sondern auch optisch. »Load« wurde von einer regelrechten Kontroverse um die Frisuren der Band begleitet. Heute wirkt das banal – kurze Haare, na und? 1996 war das Thema hoch aufgeladen. Denn es stand symbolisch für eine Abkehr von den Codes der Metal-Szene. Statt Kuttenästhetik: Designerhemden, Eyeliner, Zigarrenposen. Der Fotograf Anton Corbijn – bekannt durch seine Arbeit für U2 und Depeche Mode – inszenierte Metallica plötzlich als millionenschwere Rockstars, nicht mehr als Bier trinkende Metal-Helden. War das nun cool, überheblich oder lachhaft? Man glaubt es kaum: Die Debatte hält bis heute. Legendär ist der Kommentar von Alice In Chains, musikalisch immer schon die Metaller unter den Grunge-Bands, bei ihrem MTV-Unplugged-Auftritt: »Friends don’t let friends get Friends haircuts« – eine spitze Anspielung auf die Sitcom-Ästhetik der Neunziger und ein direkter Seitenhieb auf die frisch frisierten Metallica-Mitglieder im Publikum. Autsch!

Aufstieg in den Rock-Olymp

Als Metallica Anfang der Achtziger starteten, bewegten sie sich zunächst im Umfeld stilprägender Metalbands aus der zweiten Reihe wie Exodus, Metal Church, Exciter oder Testament. Ihre Einflüsse reichten von Diamond Head und Saxon bis zu Deep Purple (besonders das Live-Album »Made in Japan«) und natürlich Motörhead. Ihre Wegbereiter waren Szene-Gatekeeper wie Brian Slagel, Gründer von Metal Blade Records. Mitte der Neunziger klang das alles plötzlich anders: Lars Ulrich sprach lieber über Oasis. Heute wirkt diese Geste nicht mehr sonderlich provokant, sondern vielmehr folgerichtig. Nach dem »Black Album« und den endlosen Touren waren Metallica längst die größte Metal-Band der Welt geworden. »Enter Sandman«, »Sad But True« und »Nothing Else Matters« liefen im Radio, Letzteres sogar als weltweiter Crossover-Hit – der vielleicht bekannteste Fan der Ballade: Elton John. Danach blieb nur die Steigerung, nach der größten Metal-Band auch zu einer der größten Rock-Bands der Welt zu werden.

Metallica: »Load« (Blackened)

War dieser Schritt bloßes Kalkül? Das ist naheliegend bei einer Business-Maschine wie Metallica – aber es ist zu kurz gegriffen. Ebenso plausibel ist, dass die Band den Wechsel künstlerisch reizvoll fand. Hetfield, Ulrich, Hammett und Newsted waren Mitte dreißig, technisch auf dem Höhepunkt, körperlich fit und mit Produzent Bob Rock an der Seite, der ihnen schon zuvor den Weg zur Rock-Breitwand-Produktion geöffnet hatte. Für Musiker mit diesem Selbstbewusstsein war der Gedanke naheliegend, fortan nicht etwa »Metallica light« zu werden, sondern eine neue Version von Metallica, die im Rock-Olymp genauso selbstverständlich bestehen konnte wie im Metal-Olymp. Bescheiden waren sie nie, ehrgeizig und geschäftstüchtig dagegen schon immer.

Rock also – aber was bedeutete das musikalisch? Die Promo-Fotos sagten: U2 und ein Hauch Jane’s Addiction, also eher das alternative, »künstlerische« Kalifornien. Die Musik selbst erzählte jedoch eine andere Geschichte: Blues, Southern Rock, Boogie, Groove. Metallica klangen mit Bob Rock zwar weiterhin groß und differenziert, wurden dabei aber auffällig erdig. Besonders hörbar war der Einfluss von »Deliverance«, dem 1994er-Album der Hardcore-Crossover-Pioniere Corrosion Of Conformity. Die Band um Hetfields Kumpel Pepper Keenan (später Bewerber auf den Bassposten bei Metallica) hatte sich damals ein neues musikalisches Fundament erschlossen, das an Lynyrd Skynyrd, Thin Lizzy und ZZ Top (»Tres Hombres«, nicht »Eliminator«) erinnerte – Retro, aber modern interpretiert. Genau diesen Sound saugten Metallica auf und machten ihn massentauglich. Wären allein kommerzielle Erwägungen ausschlaggebend gewesen, hätten sie sich wohl an glatteren Produktionen der Zeit orientiert. Dass sie stattdessen diesen staubigen Biker-Rock-Sound adaptierten, zeigt: Das war keine bloße Strategie, sondern auch musikalische Leidenschaft.

Weicher und schwerer

Viele Fans empfinden »Load« bis heute als das Album, auf dem Metallica »weicher« wurden. Streckenweise ist das korrekt. Die Singles »Until It Sleeps« und »Hero Of The Day« – beide in MTV- und VH1-Dauerrotation – wirkten mit ihrem fast poprockigen Charakter tatsächlich wie ein Bruch. Vor allem »Hero Of The Day« mit seinem Power-Pop-Arrangement öffnete Türen zu Radiostationen, die frühere Metallica-Songs nie gespielt hätten. Dass »Until It Sleeps« damals so intensiv im Musikfernsehen rotierte, lag auch am Video: religiöse, surreale Bildsprache und eine Ästhetik, die an »Losing My Religion« von R.E.M. oder an die Cranberries erinnerte. Das passt perfekt in die Neunziger, das Mystery-Jahrzehnt von »Akte X«, UFO-Literatur und Uri Geller. Religiöse Symbolik war damals kein abseitiger Tabubruch, sondern ein popkultureller Code für Rätselhaftes. Auch hierin zeigt sich, wie sehr Metallica die Strömungen dieser Zeit aufnahmen – und auf ihre eigene Weise verarbeiteten.

Doch diese beiden Tracks spiegeln keineswegs das ganze Album. Der Abschluss »The Outlaw Torn« ist im Gegenteil eine der schwersten Nummern der Bandgeschichte: ein massiver, zäh rollender Brocken, der 1996 wie ein zeitgemäßes Update der Metal-Heaviness wirkte. Langgezogene Riffs, tiefe Stimmung, warme Produktion – hier regiert nicht der kalte Thrash-Hammer von »Battery« oder »Dyers Eve«, sondern eine tonnenschwere, fast doomige Atmosphäre. Genau diese bewusste Suche nach einer »anderen« Heaviness erinnert an Soundgardens Erfolgsalbum »Superunknown« (genial produziert von Michael Beinhorn): weniger Abrissbirne, mehr Druck, mehr Atmosphäre. Das Doomige bei Metallica wird ohnehin oft unterschätzt. Sunn O))) bauten zu Beginn der 2000er-Jahre eine lupenreine Drone-Nummer aus »For Whom the Bell Tolls« – sicherlich kein Zufall. Latent war das Doomige bei Metallica zudem bei Songs wie »The Thing That Should Not Be« (1986) oder »Harvester Of Sorrow« (1988) präsent. Auf »Load« durfte diese Schwere, nun durchtränkt von einer rockigen Haltung, mitunter ganz in den Vordergrund treten.

Hetfield blüht gerade bei diesen tonnenschweren Groove-Riffs sicht- und hörbar auf: »Hier bin ich zu Hause, Baby!« In den Achtzigern war er der unermüdliche Rhythmusmotor – präzise, schnell, knallhart, dabei stets pflichtbewusst und diszipliniert. Ab »Load« verschiebt sich das Selbstverständnis: Die Riffs dürfen sich ausbreiten, der Anschlag atmet mehr. Das ist Southern-Metal- und Blues-Feeling. Hetfield wirkt darin so entspannt wie nie zuvor. Seine Rolle des konservativen Rebellen findet hier ihre musikalische Verfestigung: im amerikanischen Verständnis frei, ungehobelt, nicht beugsam. Von da an zieht dieser breite Groove immer wieder seine zähen Bahnen durch das spätere Werk der Band: ob »Invisible Kid« (von »St. Anger«, 2003), »Cyanide« (von »Death Magnetic«, 2008) oder »ManUNkind« (von »Hardwired… to Self-Destruct«, 2016). Hetfield genießt diesen rollenden Unterbau – und seit »Load« gehört er ebenso zu seiner DNA wie die ikonische Thrash-Motorik.

Neue Männlichkeit?

So richtig »weich« – im besten Sinn – wurde es wiederum bei »Mama Said«, der berührenden Hetfield-Ballade mit Pedal-Steel-Sound im Country-Stil. Im Musikvideo ging es direkt mit Cowboyhut auf den Highway, am Ende kam als augenzwinkernde Geste ein Pferd ins Bild – die Neunziger waren nicht immer subtil. Doch gerade hier zeigte sich der Frontmann in seiner bis dahin verletzlichsten, reflektiertesten Phase. Der Mann, bekannt für Alkoholexzesse und breitbeinige Posen, öffnete sich plötzlich zu introspektiven, fast warmen Momenten. Ansätze dazu gab es schon in »Fade to Black« (1984) oder »The Unforgiven« (1991), nun durfte sich auch diese Seite voll entfalten: Auf »Load«, scheint es, wurde Begonnenes konsequent zu Ende geführt. Interessant ist der zeitgeschichtliche Kontext: In den USA war Country Music Mitte der Neunziger durch Stars wie Garth Brooks oder Shania Twain längst zum Pop-Phänomen geworden. Das war Stadion- und MTV-tauglich. Im deutschsprachigen Raum dagegen assoziierten viele Country noch mit Truck Stop und Fasching. Das mag erklären, warum »Mama Said« in Europa wohl befremdlicher wirkte als in Amerika. Bis heute wird oft von Image-Debatten überschattet, dass »Load« in solchen Momenten eine der menschlichsten Metallica-Platten überhaupt ist. Gleichwohl blieb Hetfield auch hier der harte Kerl der alten Schule – kompatibel mit seinem bewährten Haudrauf-Image. Es ging nie um neue Männlichkeitsentwürfe, sehr wohl aber darum, wohltuende neue Facetten hinzuzufügen.

Wenn wir schon über Männlichkeit reden: 1996 veröffentlichen Metallica also dieses Album namens »Load«, auf Deutsch »Ladung« – und auf dem Cover prangt Andres Serranos Kunstwerk »Semen and Blood III«, ein Gemisch aus Sperma und Blut. Heute könnte man das leicht als Paradebeispiel für »toxic masculinity« in der Rockmusik lesen. Jedenfalls stand das Bild damals in frappierendem Kontrast zur musikalischen Öffnung und partiellen Weichheit der Platte. Darin liegt eine unfreiwillige Komik: Metallica wollten erwachsener, künstlerischer wirken – und landeten bei einem Covermotiv, das im falschen Kontext wie ein pubertärer WG-Gag aussieht. Gerade weil »Load« eben Groove und Melodie betont, nicht Grobheit, wirkt das Motiv doppelt absurd. Fraglos wollten Metallica noch größer werden, aber sie wollten »edgy« bleiben – bitte nur kein Plüschrocker-Image Marke Soul Asylum (»Runaway Train«) oder, schlimmer noch, Bon Jovi. Einen Skandal um das Cover gab es dennoch nicht: Selbst Walmart, immer wieder zensurfreudig, verkaufte das Album ohne Probleme. Surreale, morbide Visuals waren durch Bands wie Tool ohnehin im Mainstream angekommen. Rückblickend passt das Motiv wohl zudem in die Kategorie: »Bei Lars hat es kräftig geschneit.«

Gefühlvoller Groove statt Präzision

Bleiben wir auch musikalisch bei Ulrich: Sein Einfluss auf den Sound und die Stoßrichtung von »Load« ist kaum zu überschätzen. Der gern wiederholte Vorwurf, er sei ein »schlechter Drummer«, hält einer genauen Betrachtung nicht stand – zumindest nicht im Studio. Metallica brauchen keinen Mike Portnoy (Dream Theater) und keinen Dave Lombardo (Slayer). Portnoy würde alles mit Fills und Polyrhythmen zukleistern – fraglos beeindruckend, aber vollkommen unpassend für Hetfields Riffarchitektur. Lombardo hat zwar unglaubliche Präzision und Thrash-Energie, aber sein Groove ist hyper-aggressiv und schießt regelrecht nach vorne – perfekt für den wahnsinnigen Slayer-Sound, aber für Metallica nicht zu gebrauchen. Ulrich dagegen denkt in Songstrukturen: Er baut Drum-Parts, die das Riff atmen lassen und den Spannungsbogen mitgestalten. Es gelingt ihm, Songs durch Breaks, Akzentverschiebungen und einfache Rhythmuswechsel enorm aufzuladen. »Sad But True« war bereits das Paradebeispiel, »Load« die konsequente Weiterentwicklung: Ulrich spielt hier gefühlvollen Groove, oftmals leicht hinter dem Beat – genau das macht den wuchtigen Sound der Platte aus. In der Schlagzeug-Rhythmusgitarren-Interaktion mit Hetfield (und seit »Load« auch mit Hammett) entsteht somit Raum und Gewicht. Ulrich ist Mitarchitekt der Songstrukturen – viel mehr als andere Metal-Drummer, die sich eher in den Dienst bestehender Strukturen stellen.

Auch Jason Newsted und Kirk Hammett griffen diesen Ansatz auf und waren intensiv in die Rhythmusarbeit eingebunden. Newsted, der sich nach dem Tod von Cliff Burton jahrelang mit der Rolle des »ewigen Neuen« abfinden musste, ließ den Bass auf »Load« erstmals spürbar swingen. Schnell unterschätzt man, was das für ein gewaltiger Schritt war: Thrash Metal lebt von Idealen der Präzision und der Tightness, nicht von subtilen Verschiebungen. Doch genau diese Offenheit im Zusammenspiel, dieses Atmenlassen, das in Ulrichs Drumming präsent ist, war nun auch in Newsteds Bassspiel zu hören. Hammett steuerte derweil nicht nur Leads bei, sondern setzte ebenfalls rhythmische Akzente, passenderweise ermuntert durch Ulrich. Noch vor »Kill ’Em All« war Hammett als Ersatz für den entlassenen Dave Mustaine (fortan Megadeth, die ewige Nummer zwei) direkt von den Kollegen Exodus gekommen: klassischer Thrash, kompromisslos nach vorn. Auf »Load« spielt Hammett mit einem gänzlich anderen Feeling, ohne seine Herkunft aktiv zu verleugnen. Sein Solo in »Hero of the Day« hat er selbst einmal als sein persönliches Lieblingssolo bezeichnet – ein Sakrileg? Man kann sein Statement auch als Hinweis an Old-School-Fans deuten, endlich einmal genauer hinzuhören. Erwähnt werden muss zuletzt Hammetts Liebe für das Wah-Wah-Pedal, die sich im Anschluss an den Erfolg von »Enter Sandman« auf »Load« als charakteristische Klangstimme verfestigte: exemplarisch im fast krachigen Solo von »The House Jack Built«. Seitdem nutzt Hammett das Pedal so unablässig, dass der Sound sein Markenzeichen geworden ist – und zugleich Stoff für zahllose Metallica-Memes und -Witzchen.

Metal ohne Grenzen?

Wie schon durch das »Black Album« erstmals ermöglicht, etablierte sich mit »Load« endgültig ein neuer Hörertypus: Man konnte Metal hören, ohne sich langfristig den ungeschriebenen Regeln der Szene zu unterwerfen. Heute wirkt das selbstverständlich, damals war es revolutionär. Mit Abstand lässt sich sagen: »Load« war gelebte Inklusion. Die kurzen Haare sagten: »Du musst nicht aussehen wie wir früher, um das hier zu mögen – und um dabei zu sein«. Für viele »echte Metaller« war das ein Affront, weil Metallica das alte Prinzip von Abgrenzung nach außen (gegen die Spießer, die »Normalos«) und Gemeinschaft nach innen auf den Kopf stellten. Jetzt hieß es: »Alle dürfen rein« – während sich zugleich ein kultureller Bruch mit dem früheren »Innen« vollzog. Genau hier entstand das Gefühl des Verrats: Statt Szene-Solidarität und geteilter Werte gab es nun Country-Anleihen und Pop-Momente. Ein anschauliches Beispiel für das Bild, das von der Band durch die Szene zirkulierte: Auf dem Dynamo-Festival 1996 ging das Gerücht um, Metallica würden unter dem Programmpunkt »Kreatief met Kirk« als Geheimgig auftreten. Die Ernüchterung war groß, als sich die Aktion lediglich als Vorab-Listening-Session mit aufgenommenen Interviewfragmenten entpuppte. Die verständliche Deutung der Fans: Die Herren Plattenmillionäre hatten offenbar Besseres zu tun, als auf dem damals wichtigsten Metal-Festival Europas Präsenz zu zeigen.

Kommerziell war »Load« mit rund fünf Millionen verkauften Einheiten in den USA deutlich kleiner als das »Black Album« mit seinen 16 Millionen. Aber dieser Vergleich ist irreführend: Das »Black Album« war kein normaler Release, sondern ein globales Kulturereignis, das Metallica überlebensgroß machte. »Load« hatte einen anderen Auftrag – und erfüllte ihn. Es machte Metallica noch gesellschaftsfähiger und öffnete die Band endgültig für Hörer*innen, die mit Thrash Metal nie warm geworden wären. Man kann es trocken formulieren: »Load« war eine strategische Langzeitinvestition in die kulturelle Breitenwirkung. Genau diese Breitenwirkung zeigte sich nicht nur in Radio-Airplay und Medienpräsenz, sondern zudem in gigantischen Bookings: Festivals, Stadiontouren, astronomische Gagen, zuletzt Gerüchte um eine Las-Vegas-Residenz. Metallica wurden in der Liga der globalen Mega-Acts heimisch, noch während sie kreativ experimentierten. Sie mussten dafür ihre eigene musikalische Identität schon in den Neunzigern nicht pausieren oder gar vollständig aufgeben: Auf dem 1997er Live-Dokument »Cunning Stunts« (apropos »toxic masculinity«) steht neben »Until It Sleeps« ganz selbstverständlich der Thrash-Klassiker »Creeping Death« von »Ride the Lightning« – beide mit derselben Energie und Hingabe gespielt.

Für mich persönlich bleibt eben dieses »Ride the Lightning« der ultimative Metallica-Moment – wenn es um Metal geht, liebe ich nun mal mein »Holzbrett«. Aber in meinem Herzen ist auch Platz für »Load«: teils aus musikalischer Begeisterung (u. a. »The Outlaw Torn«, »Mama Said«), teils aus dem tiefen Interesse, wofür dieses Album kulturell aus heutiger Perspektive steht. Denn »Load« war schlussendlich beides: ein Album der Spaltung und ein Album der Öffnung – der Selbst- und der Zielgruppenfindung. Es zeigt, wie eine Band mit Wurzeln in der Subkultur den künstlerischen Mut und den ökonomischen Weitblick hat, sich nicht nur musikalisch, sondern auch kulturell neu zu verorten – mit allen dazugehörigen Risiken, Peinlichkeiten, Brüchen und Missverständnissen. »Load« bleibt über die Musik hinaus so faszinierend, weil es uns nicht nur etwas über Metallica erzählt, sondern auch etwas über uns selbst: über die Sehnsucht der Neunziger nach Rätselhaftigkeit, nach Weite und nach dem Verschwinden von Grenzen – und über das bemerkenswerte Phänomen, dass ein Album, das millionenfachen Absatz fand, dauerhaft als kontrovers in Erinnerung bleiben kann. Das war vielleicht die größte Ironie von »Load« – und zugleich sein größter Marketing-Triumph, der bis heute Platten und üppige Boxsets verkauft.

Metallica: »Load (Remastered)« Deluxe Box Set (Blackened)

Link: https://www.metallica.com/ 

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Text
Kai Ginkel

Veröffentlichung
21.08.2025

Schlagwörter


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