Kudláčeks neuer Film kann gewissermaßen als Fortsetzung der Dokumentation über die facettenreiche New Yorker Experimentalfilmpionierin Maya Deren verstanden werden: die beiden Filmemacherinnen sind nicht nur im gleichen Kontext zu denken, sondern weisen auch in biographischer Hinsicht etliche Parallelen auf. Zum einen sind es ihre osteuropäischen Wurzeln Deren wurde 1917 in der Ukraine geboren, Menken 1909 in New York in einer litauischen Immigrantenfamilie -, zum anderen die enge gemeinsame künstlerische Tätigkeit mit ihren Ehepartnern. Marie Menken fand über abstrakte Kunst zum Film. Ihre Bilder waren Materialkompositionen aus Steinsplittern, Glasperlen, Pulvern, Schnuren und Holz, in denen sie versuchte, verschiedene Licht- und Oberflächenverhältnisse zu erzeugen. Das Interesse für solche Kunst war in den späten 40er und frühen 50er Jahren sehr gering; sie konnte sich trotz einiger Ausstellungen nicht durchsetzen. Ihre Filme, die am ehesten als kurze, in einer stark poetischen Manier gedrehte Dokumentarfilme zu bezeichnen sind, können als eine Fortführung ihrer Bildtechnik aufgefasst werden. Auch hier gilt Menkens Hauptinteresse dem Kleinen, Unscheinbaren, vor allem dem Strukturhaften und Ornamentalen in der nächsten Umgebung, das sie allerdings mit Hilfe ihrer besonderen Kameraführung und Schnitttechnik zu verfremden verstand: »Glimpse of the Garden« (1957) wirkt wie ein leiser, genussvoller Blick auf stark vergrößerte Muster einer Blumen- und Blättervielfalt in einem weltabgewandten Moment. In »The Gravediggers from Guadix« (1958) beobachtet sie die scheinbar monotonen Bewegungen einer Gruppe von Mönchen auf ihrem Weg zu einem Friedhof. Ansichten von New York verwendete sie in »Go! Go! Go!« (1962-64), die Details einer Alhambra in »Arabesque for Kenneth Anger (1958-61)»Das wichtigste Element in ihren Filmen blieb das Licht (so etwa in »Lights« von 1966), ihr Hauptverfahren eine Rhythmisierung und Bewegung des Gefilmten, ihr wichtigstes Arbeitsgerät eine 16mm-Bolex-Kamera.
Menkens Werk ist nur im Kontext ihres Zusammenlebens mit ihrem Mann, dem Dichter und Filmemacher Willard Maas zu verstehen. Die Dachgeschoßwohnung in Brooklyn, die die beiden über dreißig Jahre lang bewohnten, diente als einer der wichtigsten Treffpunkte der New Yorker Avangardeszene der 50er und 60er Jahre. Hier gingen Künstler wie Dwigth Ripley, Kenneth Anger, Gerard Malanga, Jonas Mekas, Peter Kubelka und nicht zuletzt Andy Warhol, der von Menken Unterweisung in Kameraführung bekam, ein und aus. Menken porträtierte den langjährigen Freund in »Andy Warhol« (1964-65) und trat andererseits in seinem Filmzyklus »The Chelsea Girls« (1966) als Darstellerin auf. Auch der damals junge Edward Albee war bei Menken und Maas ein gern gesehener Gast und erlebte hautnah ihre konfliktreiche, oft in einem Kampfverhältnis gelebte Ehe, die trotz der offen gelebten Bisexualität von Willard Maas bis zum fast gleichzeitigen Tod der beiden 1970 bestehen blieb. Szenen dieses Zusammenlebens hielt Albee in seinem Drama »Who’s afraid of Virginia Woolfe?« fest. Zu den wichtigsten Filmen der Menken/Maasschen Zusammenarbeit zählen »Geography of the Body« (1943), »Image in the Snow« (1946-51) und »Sidewalks« (1966). Allerdings bleibt es dahingestellt, ob sich Marie Menken als hauptberufliche Filmemacherin verstanden hat. Fakt ist jedenfalls, dass sie ihre Filme lange Zeit nur im Freundeskreis vorführte und auch ihren Lebensunterhalt stets durch andere Tätigkeiten sicherte. So arbeitete sie über zwanzig Jahre beim New Yorker Magazin Time-Life, wo sie meistens in Nachtschicht für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig war. Andererseits wurde ihr Werk sehr wohl gewürdigt – 1959 erhielt sie für »Dwightiana« den Creative Film Foundation Award.
Das Bemerkenswerte an Kudláčeks Dokumentation ist zweifellos der Versuch, die Filmverfahren Menkens in ihrem eigenen Film anzuwenden. So bleibt »Notes on Marie Menken« in seiner ganzen Länge bewusst bruchstückhaft und ungeordnet-verspielt. Auch das häufige Anhalten bei scheinbar unwichtigen Details der Interieure wie der Stadtlandschaften stammt aus Menkens stilistischem Repertoire. An einer Stelle ahmt sie wiederum Menkens Bilder von Stadtlichtern bei einer Aufnahme eines Jahrmarktes auf der Coney Island nach. Sehr gut fügt sich hier auch die Musik von John Zorn ins Gesamtbild, die einen angenehmen Kontrast zu den meistens stummen Menken-Filmen bildet. Die Zweigleisigkeit des Films wird außerdem auch rein visuell angedeutet: während die von Kudláček gefilmten Sequenzen in Schwarzweiß gehalten sind, sind die Ausschnitte aus Menkens Filmen stets in Farbe. Eine trotz einiger Längen im letzten Drittel zweifellos interessante Dokumentation, die sich nicht allzu sehr auf die Person der Künstlerin konzentriert, sondern ihrem Umfeld und den Orten ihrer Wirkung ausreichend Plazt einräumt.
»Notes on Marie Menken« läuft ab 22. September im Stadtkino. Zusätzlich zum Film wird eine Auswahl von Menkens Kurzfilmen von 6. bis 13. Oktober, ebenfalls im Stadtkino, jeweils um 22.00 Uhr gezeigt.