Irgendwo, fern von der ausgebeuteten, vergifteten, kaputten Erde, haben die Menschen eine fremde Welt besiedelt – den Planeten After Blue. Nur Frauen können im neuen Habitat überleben, Fortpflanzung ist mittels von der Erde mitgebrachter Spermakonserven möglich. Teenager Roxy (Paula Luna), von ihren Freundinnen Toxic genannt, ist eine Außenseiterin, oder zumindest fühlt sie sich als eine. Am Strand finden die Mädchen eine bis zum Kopf eingegrabene Frau. Roxy befreit sie auf ihre Bitte hin, außerdem verspricht die Unbekannte, ihr drei Wünsche zu erfüllen. Roxys unausgesprochenen ersten Wunsch erfüllt die Fremde augenblicklich mit tödlicher Konsequenz, bevor sie das Weite sucht. Roxy ist von der fremden Frau namens Katarzyna Buszowska, die sich selbst Kate Bush nennt, gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen, fühlt sich von ihr sexuell angezogen und ist entsetzt ob ihrer Gewalttätigkeit.
In den Augen der anderen Dorfbewohnerinnen hat Roxy schwer gegen die Regeln verstoßen, schließlich war Kate Bush (Agata Buzek) von der Gemeinschaft wegen ihrer Verbrechen bestraft worden. Roxy und ihre Mutter Zora (Elina Löwensohn) werden gezwungen, das Dorf zu verlassen, um Kate Bush in ihrem weit entfernten Versteck in den Bergen aufzulauern und sie zu töten. Zora und Roxy begeben sich in unbekanntes Terrain, verlassen erstmals im Leben ihre Siedlung und wandern im purpurnen Licht After Blues ihrem Ziel entgegen. Sie treffen auf die mondäne Künstlerin Sternberg (Vimala Pons) und ihr Gefolge. Kate Bush bleibt etwas wie ein Phantom, dessen Wiederkehr von Roxy ersehnt und gefürchtet wird. Erzählt wird die nicht immer vollkommen nachvollziehbare Geschichte von Roxy. Welchen Personen oder Gremium sie Bericht erstattet, bleibt unklar.
Enigmatisch und wunderschön
Bertrand Mandico (Drehbuch, Regie) hat mit »After Blue« ein wunderschönes, enigmatisches, feministisches Science-Fiction-Märchen mit zahlreichen Referenzen an diverse filmische Werke geschaffen. Er selbst spricht von einer »Ode an das Kino«, mit Western-, Märchen- und Science-Fiction-Elementen. Ästhetisch wirkt der Film in Farben und Ausstattung ähnlich (trashigen) Klassikern der 1970er- und 1980er-Jahre. Mandico zählt 22 Filme als Inspirationsquellen auf, u. a. »Dune« (David Lynch), »Nausicaä aus dem Tal der Winde« (Hayao Miyazaki), »Leichen pflastern seinen Weg« (Sergio Corbucci), »Lucifer Rising« (Kenneth Anger), »Soylent Green« (Richard Fleischer), »Zardoz« (John Boorman), »Fellinis Satyricon« (Federico Fellini), »Bram Stoker’s Dracula« (Francis Ford Coppola), »La belle et la bête« (Jean Cocteau) und »Der Mann, der vom Himmel fiel« (Nicolas Roeg). Beim Zusehen kommen noch andere Filme, etwa »Blade Runner« oder »Barbarella«, in den Sinn.
»After Blue« ist kunterbunte, schräge Unterhaltung. Zwei Frauen auf einem Trip (in beiden Bedeutungen des Wortes), einer unfreiwilligen Reise, mit Pferd durch Fantasielandschaften, die an die Erde erinnern, aber mit seltsamen Kreaturen und Pflanzen besiedelt sind. Das Abenteuer, die Quest sind dem Märchen und dem Western entnommen. Gleichzeitig erleben beide ein Coming-of-Age. »After Blue« als dystopisch oder utopisch einzuordnen, ist müßig. Natürlich ist der Neuanfang der Menschen auf einer anderen Welt, nachdem die Erde unbewohnbar wurde, ein oft verwendeter Topos in der Science-Fiction. Die Fehler auf der alten Erde sollen nicht wiederholt werden, dafür sorgen strikte Regeln. Auf After Blue heißt das: Keine Maschinen, keine Chemie, keine Elektronik, Waffen nur zur Jagd, strenge Gesetze und strenge Strafen bei Zuwiderhandeln. Doch Menschen werden nicht besser, oder schlechter, nur weil sie den Ort wechseln. Starre Gesellschaften mit starren Ordnungen sind für den Untergang prädestiniert. Eine Tricksterin wie Kate Bush kann alles zum Einsturz bringen. Übrigens: Der Soundtrack von Pierre Desprat und Bertrand Mandico ist ab 16. Februar 2023 auf Vinyl erhältlich.