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Und zuhause wartet der Affe

»Holy Motors« von Leos Carax erscheint dieser Tage bei uns auf DVD, ein absoluter Pflichtfilm für Freunde des radikal subjektiven Kinos.

Leos Carax ist einer der großen Wilden des Kinos, allerdings ein Wilder mit Köpfchen. Ein bisschen so wie Wong Kar-Wai, nur eben auf Französisch. Und irgendwie auch verzweifelter. Während Kar-Wai heuer auf der Berlinale seine glattpoliertes Martial-Arts-Epos »The Grandmaster« zeigte, setzte Leos Carax mit »Holy Motors« dem Kino selbst ein Denkmal – fernab jeden Genres. Aber während man bei Wong Kar-Wai mittlerweile mit den Schultern zuckt, streiten sich die Kritiker, ob »Holy Motors« große Kunst oder großer Schwachsinn ist. Immerhin.

Carax wurde bei uns bekannt mit »Die Liebenden von Pont-Neuf«, der damals, 1991, auf spektakuläre, geradezu wahnwitzige Weise zum teuersten Film Frankreichs avancierte. Kritiker kannten Carax damals schon bestens. »Boy Meets Girl« von 1984 und in sattem Schwarz-Weiß gedreht und vor allem dann »Die Nacht ist jung« bzw. »Mauvais sang« von 1986 zeigten, dass hier ein Filmemacher mit ganz eigener Handschrift am Werk ist, aber eben auch ganz eigenen Dämonen. Auftritt der Amour fou, die sich nie erfüllen kann, verwoben in das Märchen vom Rausch der Jugend, die stets through the eyes of age betrachtet wird. Reminiszenzen eines alten Mannes, in »Mauvais sang« verkörpert von einem wunderbar besetzten Michel Piccoli (der in »Holy Motors« für eine Szene wieder dabei ist). 1999 entstand »Pola X«, der Film mit Guillaume Depardieu, dem früh verstorbenen Sohn des bekannten Steuerflüchtlings. Ein kapitaler Flop nach einer Vorlage von Hermann Melville, aber angesichts von »Holy Motors« murrte schon mancher Kritiker, dass man sich diesen Film vielleicht doch noch einmal ansehen müsse. Danach war jedenfalls 13 Jahre lang mehr oder weniger Sendepause. Es kam zu drei Kurzfilmen, einer davon als Teil des Episodenfilms »Tokio!« veröffentlicht. Außerdem vergebliche Versuche, den Film »Scars« finanziert zu bekommen – es wäre Carax‘ englischsprachiges Debut gewesen. Es wurde nichts daraus. Wer da, bei fünf verwirklichten Langfilmen in 28 Jahren, nicht auch ein bisschen an Orson Welles und seine gescheiterten Filmprojekte denkt … und bei der Gelegenheit könnte man auch gleich Terry Gilliam ins Boot holen. Beide Regisseure eint ja ein verzweifelt unvollendet gebliebenes Projekt, der »Don Quijote« bzw. dessen Ermordung.

Rollende Windmühle
hmlc1.jpgBei diesen Windmühlen halten wir. »Holy Motors« ist ein moderner Don Quijote, wenn auch auf Rädern. Aber das ist vielleicht die völlig falsche Fährte. Kurzer Vorspann, wir sehen ein Kinopublikum, dann den Regisseur Carax, der plötzlich das Publikum selbst von einer Balustrade aus betrachtet. Im Kinosaal Bluthunde. Die Kritiker vermutlich. Vielleicht auch nicht. Film ab. Ein Mann steigt in eine XXL-Limousine und wird von einer geheimnisvollen älteren Frau durch Paris chauffiert. Encore un fois ist es der großartige, zugleich monolithische Denis Lavant, bekannt praktisch nur durch die Filme von Carax und den umstrittenen »Beau Travail« von Claire Denis (aber diese Tanzszene am Schluss!). Man erfährt, dass der Protagonist neun Verabredungen an diesem Tag hat. Er beginnt sich in der Limousine, die eine große Umkleidekabine ist, zu schminken, steigt aus, ist plötzlich eine Bettlerin auf den Straßen von Paris. Nächstes Appointment, eine Motion-Capture-Bewegungsprobe, ein abgedunkelter Raum, ein Kostüm mit Lichtmarkern, Lavant turnt und kämpft auf Teufel komm raus. Der kommt aber nicht, sondern eine Frau. Schnell wird ein Ballett der Körpersäfte daraus, wir sehen auch die computergetrickste Umsetzung – eine virtuelle Abscheulichkeit.

Dazwischen gibt es eine Szene, in der Lavant mit einer Waffe im Anschlag auf einem Laufband sprintet, im Hintergrund bildet sich aus abstrakten Linien ein vorbeihuschendes Muster. Wir sind mitten in einer Reminiszenz zu »Mauvais sang«, damals bereits lief Lavant auf genau diese Weise. Und auch dort war es eine Reminiszenz, nämlich auf »The Roaring Twenties« von Raoul Walsh. James Cagney, der angeschossen durch die Straßen läuft und auf einer Kirchentreppe zusammenbricht. Carax zitiert sein eigenes Zitat. So liegen die Dinge in »Holy Motors«, kulturtheoretisch gesprochen. Wir befinden uns nach der Postmoderne (folgerichtig die Postpostmoderne, wenn das nicht so bescheuert klingen würde). In den 1990ern war alles noch ironisches Spiel mit dem Zitat, ein kicherndes Anything goes, zeitgleich mit der großen Entrüstung über das Ableben der Moderne. Heute haben sich die Grenzen endgültig verwischt. »Die Moderne, was ist das?«, fragt man sich, ein wenig verliebt in die eigene Naivität. Heute steht alles Nebeneinander, man kann die Grenzen, die Hüllen, die Kameras, den Kinosaal nicht mehr sehen. Das Zitat ist real und die Realität ist bloß Zitat. Die Kunst ist total, ist belanglos, ist evident. Und wir meckern an allem herum, was uns nicht das Hirn vor lauter Genialität wegbläst, während wir uns nebenbei jämmerliche Katzen- oder Pannenvideos auf YouTube reinziehen. Und nicht einmal einen Widerspruch darin sehen.

Der bürgerliche Affe
hmlc5.jpgDarum geht es in gewisser Weise in »Holy Motors«. Die Kameras sind weg, die Bühne ist entfernt. Lavant spielt einen Mann, der auf Auftrag Leben spielt. Seine nächste Station führt als rothaariger Rasputin-Punk zu einem Fotoshooting, wo der Fotograf vor Geilheit keucht und seine biestige Hässlichkeit bewundert. Lavant macht einen auf Orang-Utan, knabbert einen Finger ab und entführt die Schöne – es ist Eva Mendes – in seine Höhle. Dort verwächst sich die Szene zu einer fast ketzerischen Pieta, aber keine Sorge, wir erzählen jetzt nicht den ganzen Film. Nur so viel noch, es geht in »Holy Motors« auch darum, dass wir Haus und Heim und Familie ebenso spielen müssen. Und zwar völlig folgerichtig, denn das Kino ist überall, es ist in unseren Köpfen. Kein Thema behandelt Carax übrigens düsterer und hinterhältiger, voller Lügen, Grausamkeit und Affentheater. Aber es geht auch um das Altern, den ewigen Ruhm, den Tod. Kyle Minogue in den Ruinen des berühmten Kaufhauses »La Samaritaine«. Hier erstarrt der Film beinahe zu einer Schmonzette, aber das ist alles im Preis inbegriffen, die Nüchternheit neben der Opulenz, die Ironie neben dem Bierernst. Außerdem gibt es noch das geniale Finale, das kleine Schwätzchen der heiligen Motoren. Aber mehr soll hier nicht verraten werden (ohnehin erzählen genügend Onlinekritiken den Film vor lauter Deutungsverlegenheit von vorne bis hinten).

»Holy Motors« ist Kino um des Kinos willen. Es ist abstrakte, hybride Künstlichkeit, bigger than life, aber auch absurder als das Leben. Es steckt eine heilige Wut in diesem Film, nur eben, wenn der Franzose schimpft, dann klingt das – zumindest in deutschsprachig verwöhnten Ohren – immer noch, als würde der Landpfarrer salade de jambon cru et de saumon fumé bestellen. Nur zum Beispiel. Wer nach den großen, radikal subjektiven Einträgen im Kino sucht, nach dem Bildersturm im Oberstübchen, der ist hier goldrichtig. »Holy Motors« ist ein absolutes Must-see, eine Standortbestimmung, die ständig den Boden unter den Füßen wegzuziehen versucht. A grumpy old bastard von einem Film. Ein Genuss. Unbedingt im Kino (es gab keinen regulären Kinostart hierzulande) oder zumindest auf Blu-ray anschauen. Unverständlicher Weise wird die deutsche Fassung des Film bei uns nur auf DVD veröffentlicht, darum besser auf die englisch untertitelte Fassung von artifical eye zugreifen.

Home / Kultur / Film

Text
Curt Cuisine

Veröffentlichung
29.06.2013

Schlagwörter

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