Der Augartenspitz ist der östliche Rand des Augartens im 2. Wiener Gemeindebezirk. Die barocken Parkanlagen des Augartens wurden per Dekret durch Joseph II. 1775 der Bevölkerung zur »allgemeinen Erlustigung« übereignet. Der nahe der U-Bahn-Station Taborstraße gelegene, von Wohnanlagen umfasste Augartenspitz ist seit ein paar Jahren Aufführungsstätte des vom Filmarchiv ausgerichteten Open-Air-Filmfestivals. Seit 1948 sind die Wiener Sängerknaben in einem an den Spitz angrenzenden Teil des Augarten-Palais angesiedelt. Seit gut zwei Jahren gibt es das Konzept, den Augartenspitz zu roden und einen »Konzertkristall« mit Konzert-, Probe- und Studienräumen für die Sängerknaben zu installieren. Allerdings handelt es sich beim Augartenspitz um einen öffentlichen Raum, der durch seine sukzessive Umwidmung als Raum für private Bauvorhaben zum Politikum wurde. Initiativen wie der Verein »Freunde des Augartens« (gegründet 2001) und das in weiterer Folge von der Restaurateurin und Künstlerin Raja Schwahn-Reichmann 2008 gegründete »Josefinische Erlustigungskommitee« setzen sich gegen diese Umwidmung ein. Der ab dieser Zeit schwelende Konflikt zwischen der Position der Sängerknaben und den Bürgerinitiativen eskaliert seit Ende August zusehends: Eine weitere Räumung des Augartenspitzes sowie der Abtransport der friedlichen Besetzer des Erlustigungskomitees und damit der Beginn der geplanten Rodungsarbeiten drohen nun täglich.
Musik erhebt den Geist und die Herzen. Regt zum Nachdenken ebenso, wie zum Genießen an. ?berhaupt, wenn Kinder mit ihren hellen Stimmen die romantisch verklärten Fantasien beflügeln. Die Wiener Sängerknaben haben sich Weltruhm ersungen, ihre Geschichte reicht lange zurück. Die einstigen Militäruniformen sind dem markant niedlichen Matrosenoutfit gewichen, die hohen Stimmen konstant makellos.
Doch wie ist es um die Makellosigkeit tatsächlich bestellt?
Reichen ein Paar große Kinderaugen auf der Startseite einer Homepage aus, um ihren freundlichen Ruf aufrecht zu erhalten, trotz aller Stadtmythen und Skandale, die sich auch immer wieder um den Knabenchor gerankt haben? Das Ringen um das eigene Image ist wohl insgesamt unübersehbar, betrachtet man auch die missglückten Modernisierungsversuche der Hüter traditioneller Kultur im Bereich ihrer Veröffentlichungen wie die »Wiener Sängerknaben Goes Pop«.
Im Grunde ist es also mit den Sängerknaben wie mit allen anderen traditionellen Kulturwahrzeichen des Landes: Besucht werden sie am liebsten von Touristen und Ewiggestrigen, die von Zeiten träumen wollen, als alles noch scheint’s besser ward. Das ist völlig in Ordnung und eine gute Sache, solange man sich gegenseitig respektiert und mit den jeweiligen Anliegen nicht zu weit in die Quere kommt, wie es im vorliegenden Disput geschieht.
Bei den aktuellen Debatten aber um den Verbau des sogenannten Augartenspitzes dem sogenannten »Konzertkristall« für die niedliche Bubenschar sollte Folgendes mithin besser nicht übersehen werden: Während unter anderem Prominente und Anrainer bereits jahrelang um den Erhalt der Grünfläche kämpfen, scheint an dieser Stelle das landesinterne Image keine Rolle für den berühmten Chor und seine Vertreter zu spielen. Dass von Anfang an fragwürdigste Vorgehensweisen und abstruse Vereinbarungen an den Tag gelegt wurden, stört in diesem Verein niemanden ernsthaft. (Die Presse ist voll von Pro- und Contra-Meldungen, auch diverse Blogs und Websites, und wen verwundert es ernsthaft, dass sich in den parteipolitischen Statements die Grabenkämpfe zwischen ewiggestrigen Kulturvernaderern und demokratischen Kulturantreibern perpetuieren?)
Gar sind die Sängerknaben im Gegenteil bereit, Kollateralschäden geflissentlich in Kauf zu nehmen, wie einen weiter drohenden massiven Imageverlust, indem man sich über konstruktive Gegenstimmen und jeden Gegenvorschlag brutal hinwegsetzt. Falsche Anschuldigungen und Räumungsklagen werden als Antworten auf die zunächst aufgerufene, im Weiteren aber ungehörte Bürgerbeteiligung in Stellung gebracht, weshalb das Josefinische Erlustigungskomitee seit 2008 zum Widerstand in Form einer friedlichen Besetzung aufgerufen hat.
Die Stimmung im Land lässt keinen Zweifel: 97% sprechen sich bei einer abgeschlossenen Umfrage auf der Website des »Wiener Bezirksjournals« gegen die bauliche Umgestaltung aus. Die »Kronen«-Zeitung, nicht unbedingt einschlägig als Verfechterin ökologischer und demokratiepolitischer Avancen bekannt, publiziert derzeit eine Umfrage, wonach sich unverändert 96% der Befragten ebenfalls für den Erhalt der Grünfläche und damit gegen den Bau des »Konzertkristalls« aussprechen.
Das aktive Bekämpfen unter anderem dieser klaren Bürgerbekundungen gegen den Verbau des Areals spricht eine erschreckend eindeutige Sprache:
Das Image im eigenen Land spielt für den Chor keinerlei Rolle, die brutale Symbolik wird einfach in Kauf genommen. Die Räumungsklage wurde aktuell eingereicht, der aktive Widerstand soll demgemäß erneut polizeilich unterbunden und gebrochen werden.
Die Fragen, die an dieser Stelle bleiben, sind daher in Wahrheit beschämend einfach:
Wer, außer den Wiener Sängerknaben selbst, ist tatsächlich F?R den Bau des Konzertkristalls am Augartenspitz? Wie kann es sein, dass diese Tatsache den Vertretern ebendieser Bubenschar nicht einmal ein ernsthafter Gedanke wert ist, einfach an einem der alternativ vorgeschlagenen Plätze wie dem Nordbahnhof am Praterstern oder der expandierenden Donauplatte – und dies dafür unter der vollen Zustimmung der ansässigen Bevölkerung – zu bauen?
Da bleibt wohl schlicht festzustellen: Ja, genauso wollen wir unsere Kultur vertreten wissen, nämlich durch jene wirklich süßen Knaben, auf die wir als unser Wahrzeichen stolz sein können – denn alles, was für sie offensichtlich zählt, und was sie auch in ihren Stellungnahmen betonen, ist: Hauptsache der Rechtsstaat ist auf unserer Seite.
Weiterführende Links: www.baustopp.at | www.erlustigung.org
Text: Clara Landler, Intro: Heinrich Deisl
Clara Landler ist Kommunikationswissenschafterin und Redakteurin, freie Mitarbeiterin des Kulturkollektivs der LABfactory und Bildhauerin.