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The White Birch – 09.01.2006 Chelsea Wien

Im Schatten der weißen Birke.

Es würde sich geradezu aufdrängen bei dieser Gelegenheit wieder den Rucksack voller Nordländer-Klischees auszupacken, von wegen »Die haben ja so wenig Sonne da oben und sind deshalb immer so traurig«, oder »Wenn’s immer so kalt ist hat man halt einfach nicht viel zu lachen« usw. Naja, dass die Musik zum nächsten Bacardi-TV-Spot eher nicht von TWB kommen wird, dürfte ausgemachte Sache sein. Wahrscheinlich haben sie auch gar nichts eingereicht, obwohl da mit einer halben Minute Musik mehr Zaster zu machen wäre als die Skandinavier während einer gesamten Europatour umsetzen. Vielleicht hätten TWB bessere Chancen, würden sie zu oben genanntem Zweck ein Nebenprojekt mit Namen The Brown Coconut oder so ähnlich gründen, aber ich schweife ab.

Das Chelsea war an diesem Montagabend jedenfalls gut gefüllt mit Menschen, die sich ein wenig musikalische Wärme aus dem kalten Norwegen (schon passiert …) via Ohrmuschel injizieren lassen wollten. Und das gelang dem Quartett um Impulsgeber Ola Flottum plus Sängerin Susanna Wallumrod an diesem Abend bravourös. Gegeben wurde eine Mixtur aus bewährtem Material vom 2002er-Kritiker-Favoriten »Star Is Just A Sun«, dem erst unlängst erschienen »Come Up For Air« und einigen mir bis dato unbekannten Stücken. Wobei sich besonders bei den Songs aus dem aktuellen Opus der Verdacht aufdrängt, das Leben der weißen Birken könnte doch nicht nur aus einer endlosen Aneinanderreihung schmerzhafter Ereignisse und Zustände bestehen. Auch Seelen-Au braucht mal kurz Pause! Aber – damit kein falscher Eindruck entsteht – das heißt noch lange nicht, das bei TWB plötzlich lauter Grinsekatzen auf der Bühne stehen. Ein wenig Restwürde möchte man sich schließlich doch noch bewahren in dieser kalten und grausamen Welt!

Sympathisch und konzentriert versinken Falsett-Sänger Ola Flottum und seine MitstreiterInnen in ihren dicht gewobenen Soundtexturen, bei denen schon einmal der Geigenbogen die Gitarre streicheln darf. Das ist zwar nichts Neues und spätestens seit den artverwandten Sigur Ros (wieder) State of the Art im Lande »Melancholy And The Infinite Sadness«. Während sich Sigur Ros mit ihrer letzten Arbeit leider mehr in Richtung Gitarren-Rockband entwickelt haben, konnten sich TWB die karge Sprödheit im Klang bewahren, die selbst Songs, bei denen man vorerst meinen könnte, dass TWB ja auch rocken können, eine eben »nicht fette« Unverwechselbarkeit verleihen. Weniger ist mehr könnte ein Produktionsprinzip der nach einem Codeine-Album benannten Band sein (was sie selbst übrigens bestreiten), und sie liegen damit goldrichtig. Als »fluffig« bezeichnet die germanische Musikschreibe diesen Sound momentan gern, was auch immer das heißen mag – rein lautmalerisch klangt das schon mal nicht schlecht.

Nachdem die Tindersticks, Mark Hollis oder auch Midnight Choir momentan Europa nicht mit einer Tour beglücken und wohl auch Jeff Buckley eher nicht mehr in Wien vorbeischauen wird, haben TWB die Live-Saison 2006 für Teilzeit-Trauerbirken würdig eröffnet. Danke schön.

Home / Musik / Konzert

Text
Stefan Koroschetz

Veröffentlichung
17.01.2006

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