Der Aufnahmeprozess von Platten entspricht nicht nur der quantitativen Entwicklung von schon Vorhandenem, sondern hier findet ein qualitativer Sprung statt. Das Ausgangsmaterial wird dabei in etwas völlig anderes transformiert. Dieses Medium birgt ein Potential in sich, welches sich revolutionär auf den gesamten Produktions- Präsentations- und Rezeptionsprozess von Musik – von der Komposition über die Zusammenarbeit von Produzierenden bis zur Performance auswirkt.
So in etwa lautet die Conclusio eines Textes von Chris Cutler aus den 80igern.
Alles schon gegessen im Zeitalter des PCs und allumfassenden Homrecordings?
Keinesfalls. SHABOTINSKI führen uns vor, wie die Genres der Akustischen mit der Elektronischen Musik zusammenwachsen.
Mitte des letzten Jahres begann das Projekt Shabotinski Formen anzunehmen. Werner Dafeldecker, seit Ende der 80iger in einer Szene aktiv, die sich bemüht die Barrieren zwischen Improvisation und Komposition aufzulösen (ich erinnere nur an TonArt), und Peter Boehm, klassisch ausgebildeter Elektro-Akustiker, der regelmäßig mit dem Klangforum Wien zusammenarbeitet und im ständigen Kontakt mit Elektro-Akustischen Institutionen wie dem IRCAM in Paris steht, haben eingeladen um den Versuch einer Verbindung von Digital mit Analog zu wagen. Die Ehre gaben sich Ernesto Molinari (Klangforum), Uli Fussenegger, Paul Skrepek und Christof Kurzmann. Als Gäste folgten dann noch Burkhard Stangl, Josef Novotny, Eugene Chadbourne.
Die Grundstrukturen entstammen Dafeldeckers Feder, Platz für Improvisation vorhanden.
Mit dem ersten Aufnahmematerial geht’s dann zum Computer, wo die Stücke dann teilweise vollkommen neu zusammengebaut werden. Vom Resampling einzelner Spuren bis zum Time-Stretching der ganzen Summe über den Einbau elektronischer Einsprengsel ist alles drinnen. Dann wird im Studio erneut aufgenommen, jetzt aber verstärkt unter dem Eindruck der Kompositionsarbeit am Computer. Nach neuen Samples wird gesucht, mit denen der Computer gefüttert werden soll. So geht das einige male hin und her, bis man nach sechs Monaten teilweise unterbrochener Arbeit ein vorläufiges Endprodukt in den Händen hält – »Stenimals« (erschienen Ende Oktober auf »plag dich nicht«).
Diese Platte ist ein ganz erstaunliches Stück Grenzüberschreitung. Klassische Instrumente wie Bass, E-Gitarre, Klarinette oder Klavier gehen ein geradezu selbstverständlich brillante Symbiose mit an Farmers Manual erinnernde Abstrakt- Elektrosounds, Breakbeats und flirrenden Synths ein. Dabei ist das ganze der Melodie verschrieben und bestimmt von einer großen Leichtigkeit. Ständig der Verweis auf das Analoge im Digitalen und vice versa. Ganz selbstverständlich taucht z. B. plötzlich ein banjospielender Eugene Chadbourne in einer Umgebung von knirschenden Mego-Tönen auf. Der Klang von Blues-Schellacks als bloßes Zitat des Analogen.
Im Gespräch mit Boehm und Dafeldecker frage ich die beiden nach den voranschreitenden Arbeiten an der nächsten Platte, die Mitte 1998 herauskommen soll. Dabei stellt sich heraus, dass die Erfahrungen mit der Produktion der ersten Tonträgers schon Auswirkungen auf den Fortgang des Projektes Shabotinski zeitigen. Die vorbereitete Kompositionsarbeit wird offener gestaltet, um mehr Raum für die Arbeit am Computer zu lassen. Das Oszillieren zwischen Aufnahme im übrigens voll-analogem Studio und dem digitalem Aufbereiten wird verstärkt in Angriff genommen.
Die einzelnen Bandmitglieder, insbesondere Christof Kurzmann, der mit dem Orchester 33 1/3 ein vom Ansatz her ähnliches Projekt laufen hat, werden stärker eingebunden. Des weiteren gibt es schon eine einstündige Aufnahme von Jim’O’Rourke, die er ihnen zur Bearbeitung überlassen hat. Hier scheint ein starkes Vertrauen vorhanden zu sein, dass trotz einer möglichen vollkommenen Neu-Konfiguration die Individualität eines improvisierten Stückes noch erhalten bleibt.
Ûberhaupt hat sich während des Zusammenarbeitens das Bedürfnis nach einer positiven Neudefinition des Kollektivs ergeben. Genre- und Spartengrenze, die von Musikern und Musikerinnen ohnehin nie so in den Vordergrund gestellt werden, sind nur ein Hindernis bei der Zusammenarbeit, deren Erhaltung nur von einer an Vermarktung interessierter Musikindustrie im Verbund mit der Erwartungshaltung von Individuen, die sich um jeden Preis mit dem Musiker-Objekt ihrer Wahl identifizieren wollen, lanciert wird. Konsequenterweise wird auf »Stenimals« da im Stück »Prayer« von Christof Kurzmann die Rede des Publikums, das sich vom Künstler die Aufregung erwartet, welche im täglichen Leben unerreichbar scheint, vorgeführt.
Seit etwa zehn Jahren, so Dafeldecker und Boehm, gäbe es diese Grenzen eigentlich gar nicht mehr. Die Musiker seien notwendigerweise an Austausch interessiert. Die Analyse dieses Ereignisses finde in der Öffentlichkeit kaum Niederschlag, obwohl auch das Publikum viel flexibler geworden sei, und sich eigentlicher keiner mehr um die Schablonierung des eben Gehörten schere.
Die Oszillation scheint die grundlegende Metapher zu sein. Der Namenspate der Band war der russische Wissenschafter Shabotinski, welcher sich mit dem Potentialausgleich von chemischen Stoffen beschäftigte, wie er z. B. bei einer Verbrennung passiert, wo Kohlenstoffverbindungen in CO2 und Wasser umgewandelt werden. Bei dieser Umwandlung entstehen Zwischenprodukte, die an ihrer eigenen Vermehrung beteiligt sind, wodurch sich eine Rückkopplung ergibt. Die dabei entstehende Oszillation zwischen Ausgangsprodukt und Endprodukt kann endlos fortgesetzt werden, wenn ständig neue Ausgangsstoffe hinzugefügt werden und die Endprodukte abgeführt werden. In der Biologie wird dieses Modell dazu verwendet, um Rhythmen wie die Schlaf-Wach-Phasen durch die Steuerung über chemische Uhren, die mit Hilfe dieser Oszillation funktionieren, zu erklären.
Shabotinski »Stenimals« (plag dich nicht 007)