Headerimage Placeholder

Ron Bop – oder die Wissenschaft der Kunst, Musik zu machen

Die geglückte Liaison von brachialem Free-Noise und Pop hat uns Ron Bop ans Herz wachsen lassen. So sehr, dass das weit und breit beste Trio Österreichs mit skug auf Österreichtour geht!

»Rien est plus drôle que le malheur« (Samuel Beckett)

»Ich begehre dich nicht mehr, denn ich liebe dich nicht mehr. Wenn du nackt und wollüstig neben mir liegst, muss ich gähnen und denke an endlosen Schlaf.«

Ron Bop – bestehend aus Martin Witzmann (Stimme, Texte, MC), Robert Renher (Cello, Keyboard, Trompete, Bass, Gitarre) und Markus Krispel (Gitarre, Bass, Schlagzeug, Akkordeon, Geige, Saxophon) – gingen im Jahre 2000 aus dem zerbrochenen Flaggschiff Licht hervor. Sie definieren sich als monumental-mongokubistische Formation, versuchen nichts zu beschönigen und sind dabei wahre Meister der Vertuschung. Der Versuch, die Konvention zu akzeptieren, scheiterte bislang an ihrem eisernen Willen den Free-Noise als den einzig wahren Platz an der Sonne zu zelebrieren. Für RON BOP gibt es keine gegebenen Territorial-Grenzen mehr. Was übrig bleibt ist somit der freie Raum und jede Menge Platz, um weitere wichtige Operationen durchführen zu können.

»Erfahrene Musiker auf verwüsteten Trampelpfaden. Ich habe gehört, Witzmann trinkt vor Konzerten aufgelöste Erde.« (Markus Krispel)

Ein Konzertbericht
Eintauchen in die Musik, Klangwelten durch den Körper rieseln lassen, sich vergessen in den Gedankenwelten Anderer; dies war möglich am 11. Juni 2001, als sich die Gruppe Ron Bop im B72 mit schauderhaft schönen Erzählungen vor einem begeisterten Publikum darbot. Hineingespült in das B72 warten zahlreiche Musikliebhaber und andere ver(w)irrte Seelen auf den Beginn des Konzerts von Ron Bop; und sie beginnen zu spielen. Unmittelbar triumphieren sie los, ganz unvermittelt. Der Versuch, mit jedem Lied einen Teil der Lebenserfahrung wiederzugeben. Ein Lied, das abdriftet in einen Zustand des Wahnsinns, ohne dass man es bewusst wahrnimmt. Als Zuhörender gleitet man mit, verändert sich die Stimmung gemeinsam mit den Musikern. Man lässt sich durch die Musik führen, ohne das Gefühl zu haben, gleich abzuheben, weil einem die Musik eine Stütze verschafft.
Es ist dies eine Musik, die den langsamen Zerfall des Denkvermögens wiedergibt. Die Instrumente kämpfen miteinander, schlagen aufeinander ein und der Sänger sucht sich seinen Platz in dieser Tonwelt; und in diesem musikalischen Durcheinander ist dennoch alles stimmig; alles richtig und wahr.
»Jetzt geht es los, jetzt geht es los mit der Krankheit« – Ron Bop sprechen das Unausprechliche aus. Mit ihrer Musik verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Wahn. Und all das ergibt einen Sinn für jene, die sich auf diese musikalische Gratwanderung einlassen. Die schrecklichen Gedanken und Gefühle, die einen manchmal in bezug auf das Leben heimsuchen, werden in der Musik erweckt; der Wahnsinn wird ausgespien, man ist versucht, »NEIN« zu rufen und ist dennoch gefangen in den Klangwelten, liebt den Schmerz, den die Gitarre in einem verursacht; in diesen Momenten vermischen sich gedachte und erlebte Gefühle mit den Tiefen der leidenschaftlichen Leidensmöglichkeit der Musiker. Das Keyboard dient als Rahmen um den herum sich die Klänge und Worte spannen. Die Instrumente (Cello, Geige, Bass, …) klingen wunderbar sphärisch und verschmelzen mit den elektronischen Klängen und der Stimme des Sängers.
In dieser Musik ist alles erlaubt. Nichts wird verheimlicht, nichts weggelassen; es geht darüber hinaus, indem sich Momente bis ins Unendliche verzerren. Die Schmerzgrenze wird überschritten ohne das Gefühl zu haben, zu weit gegangen zu sein. Bei dieser Musik bleibt Raum für einen selbst; Platz im Übermaß der Gedanken. Man lässt sich leiten und ist gespannt auf das nächste Stück. Die Zuhörer sind gebannt und positiv überwältigt von dieser nicht vertrauten Art, Musik zu hören. Hier ist alles erlaubt; hier wird nichts weggelassen.

»Es ist nicht leicht, mit all den Emotionen umzugehen. Es fällt mir so schwer zu sagen, was die Wahrheit ist. Ihr könnt mir glauben oder nicht. Ich sag die Wahrheit.«

Diese Musik geht weg von »herkömmlichen« Versuchen, abseits des Mainstreams neue Wege zu finden; sie geht darüber hinaus, indem sie Stile vermischt und den Zuhörer immer in Spannung lässt. Jede Nummer ist ein einzigartiger Versuch, Gefühle und Spannungen des Lebens in Worten, die von Musik umspült werden, wiederzugeben.
Manchmal hat man das Gefühl, gefangen zu sein … in der Unendlichkeit der Gefühle, die einem vermittelt werden. Alleingelassen mit der Musik fühlt man sich gleichzeitig befremdet und sicher.

»Operation negative. Operation negation. Und das klingt noch harmlos …«

Ron Bop im Interview
Welche musikalischen Einflüsse sind für euch wichtig? Offensichtlich auffällig sind die Residents.
Martin Witzmann: »Wir haben tausende von Einflüssen, die wir unbewusst einfließen lassen. Wir lieben The Fall und wir lieben die Residents.
Robert Renher: Jeder hat seine eigene Sozialisation mit Platten. Ich brauche nur zwei, drei Noten, die zufällig entstehen und dann werden Assoziationsketten geweckt. Alles, was man irgendwann einmal aufgenommen hat, kommt in irgendeiner Form wieder heraus; verwandelt, verdaut.«

Ist die Sozialisation jeweils verschieden oder gibt es große Überlappungen?

Renher: »Wir beeinflussen uns gegenseitig. Musikalisch kommen wir von verschiedenen Richtungen.«
Witzmann: »Wichtig für mich sind New Order, My Bloody Valentine, Built to Spill,…«
Renher: »Ich bin eher angetan von »schrägeren« Dingen: Coleman, die 60er Jahre. Free Jazz übergehend in die 70er Jahre, natürlich die Residents.«
Markus Krispel: »Mein erstes durchschlagendes Erlebnis mit Musik, die mich überwältigt hat, war Mercury Rev; »Lego my Ego«, »Chazing a Bee««.
Renher: »Bands in der ersten Zeit ihrer Entstehung sind sehr interessant. Der Weg ist oft interessanter wie das, wohin sie kommen im Laufe der Zeit. Je mehr der Dilettantismus weggeht, desto eher kommt ein eigenartiges Element abhanden.«

Zerstörte verstörte Zerstörer
Wie haltet ihr es mit dem Dilettantismus?

Renher: »Wir haben noch lange aus dem Fundus des Dilettantismus zu schöpfen. Das einzige Instrument, das ich gelernt habe war Cello. Ich spiele entweder nach Noten oder total frei; dazwischen gibt es nichts. Der Drill von zwölf Jahren kann einem im Weg sein, deshalb spiele ich viel lieber Instrumente, die ich nicht kann.«

Kann man somit Ron Bop als eine Fortführung von Licht sehen, zumindest vom Text her?

Witzmann: »Ron Bop ist eigentlich nicht so zu sehen.«
Renher: »In der Anfangsphase stand der Text viel mehr im Vordergrund.«
Witzmann: »Robert und ich haben einfach angefangen; er spielte Cello, ich habe gesungen. Markus ist erst ein halbes Jahr später dazugekommen. Es hat sich entwickelt; es kamen immer mehr Instrumente dazu.«

Ihr arbeitet auch mit Walter Malli zusammen?

Renher: »Ja, es gibt drei Stunden Malli-Material. Wir haben gemeinsam mit ihm einen Proberaum gemietet und arbeiteten mit verfremdeten Texten, die durch das schlechte Mikrofon entstanden sind. Das kann man z.B. bei »Last Exit« hören. Vom Ansatz her sind sich Malli und wir sehr ähnlich; wir drücken auf die Aufnahmetaste und in dem Moment geht???s los.«

Overdose of Communication
Auffällig ist, dass ihr einen Text aufbaut, der teilweise satirisch klingt und ihn dann bewusst zerstört.

Witzmann: »Das passiert unbeabsichtigt. Bei »Operation negative« wollte ich den Song eigentlich zerstören.«
Krispel: »Wenn wir spielen passiert alles gleichzeitig; Instrumente und Stimme. Manchmal ist es wichtig, was gesagt wird; manchmal, wie es klingt – das ist immer unterschiedlich. Das wissen wir selbst auch nie.«
Renher: »Die Texte, die immer spontan entstehen, kommen in einem Kleid der absoluten Bedeutungsschwere daher; sie sind dann aber eigentlich absurd bis sin
nlos. Zu Ende gedacht ergibt es null Sinn.«

Krispel: »Sie sind aber nicht satirisch.«
Renher: »Wir machen auf keinen Fall Kabarett.«

Der Pathos der Beiläufigkeit
Witzmann: »Es gibt keine vorgefertigten Texte. Wir treffen uns und beginnen zu spielen. Die Texte entstehen durch die Dinge des alltäglichen Lebens, woran ich den ganzen Tag gedacht habe, durch das Lesen der Kronenzeitung oder Trash-Fernsehprogramme. Man kann es als Sport bezeichnen, als eine Abreaktion; den Versuch, die Grausamkeiten des Alltags wegzuspülen. Ich bin ein lebender Müllfresser. Alles was reinkommt wird recycelt.«

Muss man Drogen nehmen, um solche Musik zu machen?

Krispel: »Man könnte sagen: ‚Take drugs to make music to don???t take drugs.’«
Renher: »Statt Drogen zu nehmen könnte man sich z.B. Ron Bop anhören.«

Zur Inspirationsquelle Katholizismus: Ministrant war bei euch keiner?

Witzmann: »Doch, Robert und Markus.«
Krispel: »Mich hat’s immer sehr befriedigt.«
Witzmann: »Ich bin in einem kapitalistischen Haushalt aufgewachsen; reiner Geldglaube. Es gibt auch eine Weihnachts-CD. Die ist unterm Weihnachtsbaum vorgespielt worden. Sogar meine Oma hat nichts gesagt.«
Renher: »Damit habe ich bei meiner Familie Betroffenheit ausgelöst.«

Fortpflanzung – Wiedergeburt – Wiederauferstehung
Welche Rolle spielen Coverversionen bei euch?

Witzmann: »Sie bedeuten Zerstörung, Dekonstruktion. Sie entstehen zufällig; während des Singens covern wir spontan.«
Krispel: »Wir wissen es erst danach, dass wir gecovert haben.«
Witzmann: »Wir sind Meister im ‚Fladern‘.«
Renher: »Es geht heutzutage nur mehr um die Selektion.«
Witzmann: »Bei vielen Platten erkennt man relativ schnell, wie sie gemacht sind.«
Renher: »Es ist sowieso alles total lächerlich.«
Witzmann: »Das war ein schöner Satz.«

Aber Ron Bop nicht … Wie entstehen Eure Tracks im Detail?

Krispel: »Das ist pure Improvisation.«
Renher: »Es gibt ein Raummikrofon und dann wird alles live eingespielt.«
Witzmann: »Es gibt keinen Ron-Bop-Track, der nicht beim ersten Take aufgenommen worden ist. Die Aufnahmen sind nicht wirklich reproduzierbar.«
Krispel: »Für das Konzert haben wir aus dem Fundus geschöpft, den wir bis dorthin produziert haben.«
Renher: »Musik, die nicht wiederabrufbar ist, steigt im ideellen Wert.«
Krispel: »Wir haben lauter unsortierte Mini-Discs. Sicher 120 Stunden Material.«
Witzmann: »Was wir machen ist der Gipfel des Zynismus. Unsere Aufnahmen sind auch sehr jahreszeitabhänging. Unsere extremsten Aufnahmen entstehen immer im Hochsommer. God knows why.«
Witzmann: »Wir machen uns total lustig über verschiedenste Sachen. Es ist immer nur Verspieltheit.«
Krispel: »Aber berühmt werden wollen wir trotzdem.«
Renher: »Größenwahn liegt uns ja absolut fern.«

CDs: »rupu rupu«, »Die Wissenschaft der Kunst« (www.hfdata.at/ronbop)
Filmmusik zu »Terror am Strand«, Regie: Elmar Weihsmann.

skug presents on tour: Ron Bop & Al Fonz sowie VAZ-Diskussion:
07. Dezember 2001, 21 Uhr: Forum Stadtpark Graz
09. Dezember 2001, 21 Uhr: B72 Wien
13. Dezember 2001, 21 Uhr: Workstation Innsbruck

Home / Musik / Artikel

Text
Daniela Praher

Veröffentlichung
05.12.2001

Schlagwörter

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen