»Glaubst i bin so deppat und hear ma des ois an«, meinte mal ein Brotjournalist auf den Hinweis auf offensichtliche Fehler in einem seiner Artikel über Roedelius. Nun denn, ein gutes Hobby zählt mehr, wie eine falsche Berufswahl. Versuch von einem, der es probiert hat.
Es scheint sich in der schreibenden Zunft der Musikbegeisterten schon rumgesprochen haben, dass es kein leichtes ist, über Hans Joachim Roedelius zu schreiben. Das erklärt wohl einerseits die Tatsache, dass sich niemand von der sonst als schreibwütig bekannten skug-Belegschaft bereit fand, über Roedelius zu schreiben, wie auch die Tatsache, dass sich trotz zweitägiger mittelharter Recherche im Internet kaum etwas über grob Biographisches sowie kaufe/tausche-Roedelius-CDs Hinausgehendes finden ließ.
Schon allein der Versuch, sich einen Überblick über das mittlerweile 30-jährige Schaffen Roedelius zu gewinnen, scheint ein hoffnungsloses Unterfangen.
Da sind mal über 100 offizielle CDs, solo und in verschiedensten Gruppen oder Gruppierungen, die alle aufzuzählen fast nicht möglich ist (Kluster/Cluster, Harmonica, Aquarello, Plus/Minus, Treffpunkt Wien, Global Trotters, um mal einige zu nennen), Mitbegründung des Artlabels Zodiak (Berlin 1968), arbeiten mit Komponisten wie Holger Czukay, Konrad Plank, Dieter Moebius, Brian Eno, Konrad Schnitzler, Michael Rother, Peter Baumann und vieler anderer Namen, bei denen ich nicht erst im Lexikon nachschauen muss um zu wissen, dass hier die wichtigsten Konzeptionisten der Avantgarde und der improvisierten Musik von 1960-90 versammelt sind; Musik für Theater und Tanzchoreografien. Texte in Form von Gedichten, Traktaten, Hörspielen, Theaterstücke, fotografische Arbeiten. Soviel mal zu den Äußerlichkeiten des Werkes von Roedelius.
Inhaltlich betrachtet ist die Klammer, die das Schaffen Roedelius??? umspannen soll, noch problematischer zu ziehen. Beginnend von experimentalen Klangerforschungen im Berlin der 60er-Jahre, bis zu den schon erwähnten Arbeiten mit Kluster/Cluster, hin zum Theater und zur Ensemblemusik bis zu den letzten Veröffentlichungen, die eine sehr persönliche, zuweilen fast kitschige Gefühlsebene offenbaren, Noise und New Age (»quatsch«, sagt er, »das hat irgendwer mal so bezeichnet«) und all diese Stile, Ausdrucksformen, zeitlich parallel und einander kontrastierend und kaum eine Gerade zu finden in diesem Gestrüpp oder eine Linie oder wenigstens einen roten Faden. Was tun also?
Roedelius ist Pionier auf dem Gebiet der Erforschung und musikalischen Nutzbarmachung elektrisch generierter und behandelter Geräusche, Töne und Klänge. Er gehört zu den Vätern der zeitgenössischen, populären, elektronischen Instrumentalmusik. Zumindest das hat mal jemand niedergeschrieben. Ich würde es anders formulieren: Roedelius ist vor allem ein Forscher der Musik – nicht nur der elektronischen – der auf unverwechselbare Weise Klangräume schafft, die sich dem Zuhörer oft nur dann erschließen, wenn er sich den Parameter des Komponisten angleicht.
Er selber bezeichnet seine Musiken als klingende Literatur, als Philosophie in Tönen, ein Klangkino oder Horchtheater. Auch ein Hinweis darauf, dass er Muße einfordert, mehr noch als Bereitschaft.
Seine umfangreiche Werkliste von über 600 Werken ist verwoben vor allem mit persönlicher Erfahrung, die er zu vermitteln versucht. Doch auch diese persönlichen Daten sind nicht leicht zu eruieren: Geboren 1934 im Westteil Berlins, in das Berlin der beginnenden Hitlerzeit, Krieg, Bomben auf Berlin, Evakuierung, bei Kriegsende »Landung« in der russisch besetzten Zone, Zwangsrekrutierung in die kasernierte Volkspolizei, (die spätere NVA), Flucht, Gefängnisaufenthalt, Ausbildung zum Krankengymnasten, Übersiedlung nach Westberlin, dort Masseur, Autodidakt, Annäherung an die Musik von einem musikalischen Aktionismus her in der praktischenen Auseinandersetzung mit dem Medium.
Eine Arbeitsmehtode die sich bis zum heutigen Zeitpunkt kaum verändert hat.
Von Beginn ( 1967 ) an in der Kommunenbewegung engagiert, längere Aufenthalte in Paris, Barcelona und London, Konzerte und Projekte in fast aller Welt. Eckdaten finde ich raus, mehr nicht. Ein Besuch bei Roedelius, der seit 1978 in Niederösterreich in Baden lebt, sollte Hilfestellung geben. Eine komplette Diskographie? Nun ja, irgendwo sollte eine rumliegen, aber die ist auch nicht auffindbar und außerdem eh nicht vollständig.
»Aber was willst du damit«, fragt er, »liest eh doch keiner«. Ob er ein Foto hat, das nicht älter ist als 10 Jahre?
»Ja«, meint er, »im Internet gibt???s da was Nettes. Findest du schon«.
»Er kann sich halt nicht vermarkten«, meint seine Frau lapidar.«
Da ist schon was dran, denke ich. Unser Gespäch schweift immer wieder ab, er erzählt kaum Greifbares, humorvoll und unaufdringlich berichtet er.
»Alles hat sich so ergeben«.
Wie es begonnen hat, frage ich. »Wir haben Krach gemacht«, meint er.
Was für ihn das Wichtigste ist (und damit meinte ich einige seiner Werke).
»Es auf den Punkt zu bringen«, antwortet er und meint damit alles. Er ist mir keine große Hilfe heute. Seine Visionen?, frage ich schon fast nur, um was Handfestes mitnehmen zu können.
»Visionen«, meint er, lächelnd, sodass mir die Frage an einen 66-Jährigen fast impertiment erscheint, »Visionen hatte ich nicht. Ich lebe zwischen Tür und Angel, ich vertone Momente, Augenblicke«.
Er redet dennoch mehr von der Gegenwart und der Zukunft als der Vergangenheit.
Wieder zu Hause versuche ich einige dieser Augenblicke im CD-Regal zu finden. Die großartige »Cluster 71«, die langsam beginnend sich wunderbar harmonisch zu einem fulminanten Klanggebäude aufbaut, eine uneitle solide CD, ohne Anschein von Alter.
Die abstrakte, oft fast technoid klingende »Zuckerzeit« von 1974.
Die schöne CD »After The Heat« mit Cluster/Eno aus 1979.
Feinstimmige und gefühlvolle, aber auch oft verwirrende Einzelwerke wie das »Selbstportrait I-III 1980«, Frühling 1991. Dann noch die »Cluster live in Japan«, 1997, das Testament Clusters, wie er selber meinte. Da viele der CDs im Handel nicht mehr erhältlich sind, bietet Roedelius die Möglichkeit, sich Kopien auf Bestellung zuschicken zu lassen: joachim_roedelius@yahoo.com.
Am 4. und 5. Mai sollte eine der seltenen Möglichkeiten, Roedelius in Österreich
live zu sehen, nicht versäumt werden. Unter seiner Leitung wird »Persistence Of Memory – eine Oper ohne Worte« uraufgeführt. Line-Up: Roedelius (Komposition, künstlerische Leitung), Alquima (mex), Alessandra Moretti (Choreografie, Tanz), Tim Story (USA), Roberto Castello (I), Gianni Pollini (I), Stephan Steiner (A), Peter Rauscher (A), Fabio Capanni (I)
Diskografie: (unvollständig)
kluster:
klopfzeichen 1970
zwei osterei 1970
eruption 1971
cluster:
cluster 71
cluster II 1972
zuckerzeit 1974
sowieso 1976
grosses wasser 1972
curiosum 1981
apropos cluster 1990
one hour 1994
live in japan 1997
harmonia
musik von harmonia 1974
harmonia deluxe 1975
harmonia 76 1997
cluster & eno
cluster und eno 1977
after the heat 1979
roedelius & alexander czjzek
wasser im wind 1982
weites land 1987
aquarello
to cover the dark 1993
aquarello 1997
global trotters
drive 1999
roedelius
durch die wüste 1978
jadin au fou 1979
selbstportrait I 1980
selbstportrait II 1980
selbstportrait III 1980
lustwandel 1981
wenn der südwind weht 1981
offene türen 1982
flieg vogel fliege 1982
gift of the moment 1984
like the whispering of the wind 1986
momenti felci 1987
variety of m
oods 1990
der ohrenspiegel 1990
piano piano 1991
frühling 1991
friendly game 1992
cuando andone 1992
tace 1993
the greetings: piano live 1993
theatreworks 1994
sinfonia contempora I 1994
selbstporttrait VI 1995
vom nutzen der stunden vol.I 1995
sinfonia contempora II 1996
pink, blue & amber 1996
vom nutzen der stunden vol.II 1999
selbstportrait VII 1999
roedeliusweg 2000
move and resonate 2000 ( Alquimia & Roedelius )
persistence of memory 2001 ( Story & Roedelius )
acon 2001 ( Schnitzler & Roedelius )
veni creator spiritus 2000 ( Spitzer-Marlyn & Roedelius ) via mp3.com
piano concertos vienna ( via mp3.com )