Es ist kurz vor halb neun. Im urigen Keller des Tunnel Vienna Live haben sich bereits die meisten Zuhörer*innen für das bevorstehende Konzert der Salzburger Band eingefunden. Die mit Equipment üppig bestückte Bühne lässt Großes erahnen: ein Schlagzeug, mindestens drei E-Gitarren und ein fünfsaitiger E-Bass – jeweils mit diversen Effektpedalen –, zwei Saxophone, eine Querflöte, ein Gong, eine Cowbell, ein Glockenspiel, ein Tamburin, ein Keyboard, eine Orgel, ein Synthesizer, eine Bratsche und fünf Gesangsmikrophone ergeben vermutlich noch immer keine vollständige Aufzählung. Der opulente Schein soll jedoch nicht trügen – Blank Manuskript machen von sämtlichen mitgebrachten Instrumenten Gebrauch, eher noch: sie holen alles aus ihnen heraus. Dass die Mitglieder des Fünfergespanns, bestehend aus Jakob Aistleitner (Saxophon, Klarinette, Querflöte, Percussion, Glockenspiel, Gitarre, Gesang), Peter Baxrainer (Gitarre, Gesang), Jakob Sigl (Schlagzeug, Percussion, Gesang), Dominik Wallner (Keys, Gesang) und Alfons Wohlmuth (Bass, Gesang), quasi Multiinstrumentalisten sein müssen, um das gesamte Equipment bespielen zu können, liegt auf der Hand. Es ist jedes Mal aufs Neue beeindruckend, Musiker*innen zuzuhören, die ein Instrument gemeistert haben. Kommt dann allerdings noch ein zweites, ein drittes, ein viertes … und auch Gesang hinzu, ist man schlicht sprachlos. Bei einem Blank-Manuskript-Konzert aber ohnehin nicht abwegig.
Prolog: »The Waiting Soldier«
Die Gruppe wählt einen direkten Einstieg, in welchem sie die ersten vier Stücke – also etwa die Hälfte – ihres dritten Albums »The Waiting Soldier« aus 2015 präsentiert. Neben »Induction«, »Kites to Sky« und »Doubts« ist es vor allem »Public Enemy«, das die Stimmung ungemein anheizt. Die gewählten Bühnenoutfits, bei welchen Dominik Wallners knallrotes Paillettenhemd und Peter Baxrainers violettes Samtjackett lediglich von Alfons Wohlmuths goldenen Glitzerschuhen getoppt werden, unterstreichen die dem Progressive-Rock so zugrundeliegende Idee des Gesamtkunstwerks. Es ist größtenteils dieser Liebe zum Detail und der ganzheitlichen Hingabe an die eigene Kunst geschuldet, dass beim Publikum unweigerlich ankommt: hinter dieser Gruppe steckt mehr. Nach etwa zwanzig Minuten verstummt der letzte Klang der Einleitung, Applaus setzt ein. Dominik Wallner begrüßt die Zuhörenden: »Schön, dass wir wieder in unserer Bundeshauptstadt spielen dürfen. Wir haben gehört, ihr braucht’s Hilfe!« Allerdings – und zwar jede, die wir bekommen können.
»Krásná Hora«
Die Hilfe kommt in Form von Blank Manuskripts neuem Album »Krásná Hora«, das sie heute zum letzten Mal in voller Länge live vortragen, bevor es kommenden Jänner im Studio aufgenommen wird. Das Konzeptalbum widmet sich thematisch dem Verlauf des menschlichen Lebens mit all seinen Höhen und Tiefen. So verfolgen die Zuhörenden das Individuum von dessen Zeit im Mutterleib (»Foetus«) über Kindheit und Jugend (»Achluphobia«, »Pressure of Pride«), die erste Liebe und deren Scheitern (»Shared Isolation«), Konflikte zwischen Einsamkeit und Zugehörigkeit im Erwachsenenalter (»Alone at the Institution«) bis zum Älterwerden und schließlich Ableben (»Silent Departure«, »The Last Journey«). Wie es eben das Wesen eines Konzeptalbums ist, macht es wenig Sinn, die Stücke isoliert voneinander zu betrachten oder zu beschreiben. Die Übergänge sind fließend. »Krásná Hora« ist als stringentes Werk wahrzunehmen, auf das man sich bewusst einlässt und es dann durchzieht, auch wenn manche Passagen vielleicht etwas schwerer im Magen liegen. Belohnt wird man dafür mit einer flüssigen Gruppendynamik, gewagten Klängen und ansteckender Leidenschaft. Unterbrechungen gibt es während des Vortrags nur dann, wenn das Publikum sich seines Applauses nicht enthalten kann – das wohl schönste Kompliment.
Epilog: »Tales from an Island«
Die Band schließt mit »The Cult of Birdman«, einem Auszug ihres ersten Albums »Tales from an Island – Impressions from Rapa Nui« (2009). Blank Manuskript haben es somit geschafft, innerhalb von zwei Stunden ein vielseitiges, jedoch rundes Programm zu bieten. Dominik Wallner verabschiedet das Publikum mit einem »Danke für’s Kommen und Unterstützen ›solcher‹ Musik für schräge Leit, die es im Radio bekanntermaßen schwer hat.« Großer Respekt an Bands wie diese, die genau diesen erschwerenden Umständen trotzen und ihren Weg weiter gehen.
Neben diversen anstehenden Terminen in Deutschland, Italien und Frankreich sind Blank Manuskript kommendes Jahr am 23. Februar im Kramladen und am 8. März erneut im Tunnel in Wien zu Gast.