»Lovecut« © Stadtkino Wien
»Lovecut« © Stadtkino Wien

Liebe in Zeiten des Internets

Sex-Tapes, Skype-Dates und Tinder: In ihrem Filmdebüt »Lovecut« thematisieren Iliana Estañol und Johanna Lietha die digitalen Träume und Sehnsüchte einer Generation, deren Vorstellungen von Nähe und Beziehung sich vermehrt im Internet verwirklichen. Aber ist das so?

Man könnte den »Coming of age«-Film von Iliana Estañol und Johanna Lietha auf vielen Ebenen diskutieren, die alle naheliegend, aber dennoch plump erscheinen würden. Etwa wird die Art und Weise, wie der Film agiert und sich selbst inszeniert, gerade für jüngere Zuschauer*innen einen hundertprozentigen Identifikationseffekt auslösen, da er in schematischer Weise die üblichen Problemnarrative von »Teenagern« heranzieht und mit dem Sujet unserer digitalen Welt überzieht. Jedoch provoziert gerade bei »Lovecut« der späte Kinostart dazu, die über die erzählten Geschichten hinausgehenden Themen doch etwas näher zu betrachten und zu reflektieren. Es ist nämlich durchaus nicht von der Hand zu weisen, dass durch die digitale Verstärkung unseres sozialen Lebens in den letzten Monaten bis zum Status quo ein viel größerer Anteil der Gesellschaft als nur die »digital natives« mit einer Verschiebung von Vorstellungen und Ideen über Beziehung, Liebe oder Sex konfrontiert waren. Und genauso wenig ist abzustreiten, dass diese Verschiebungen auch gesamtgesellschaftlich eine Spur hinterlassen werden, die sich auf mehreren Ebenen auch in Zukunft zeigen wird, sei es im größeren sozialen Umfeld oder in der Psyche des Individuums. In diesem Licht betrachtet kann »Lovecut« vielleicht doch mehr »triggern«, als man von dem Film zuerst erwarten würde.

»Lovecut« © Stadtkino Wien

Zwischen Laptop und Realität
Die allgemeine Charakteristik des Films wird fast schon automatisch die ihm inhärente Conclusio herbeiführen, dass egal, wie viel Zeit und Intensität man in seine digitalen Tools und Medien investiert, im Endeffekt immer noch die Realität als die eigentliche Begegnung von Körpern trotz allem die bestimmende Rolle für unsere Beziehung zu anderen Menschen spielen wird. Was »Lovecut« aber durchaus schön erzählt, ist die Art und Weise, wie unsere oftmals digitale Vorprägung zu anderen Menschen Wünsche idealisiert und Hoffnungen verstärkt, die vielleicht so gar nicht eingelöst werden können. Das klingt vielleicht pessimistisch, ist aber weniger negativ gemeint, als es den Eindruck macht: Es ist nur auch eine Lehre der durch Covid-19 verstärkten Digitalisierung, dass ein digitaler Austausch oftmals zwar einen guten Ersatz darstellt, aber selten die volle Erfüllung bringt.

»Lovecut« © Stadtkino Wien

Der digitale Körper
Die drei im Film begleiteten Geschichten spiegeln diesen Konflikt des analogen Kontrasts auf ihre jeweilige Art wider. Sei es etwa die durch Tinder entstandene Beziehung zwischen dem »Draufgänger« Ben (Max Kuess) und der rebellischen Luka (Lou von Schrader), die eine Geschichte der sensiblen sexuellen Annäherung erzählt, dann aber gebrochen wird von den beiderseitigen nicht erzählten Realitäten ihrer jeweiligen Person. Ähnlich aufgebaut beschreibt auch die Skype-Beziehung von Momo (Melissa Irowa) und Alex (Valentin Gruber), die ihre sexuellen Fantasien vorerst im Video-Chat ausleben, wie die schlussendliche reale Begegnung der beiden, in der herauskommt, dass Alex auf den Rollstuhl angewiesen ist, aufdeckt, wie anders man sich digital in einer Beziehung formen kann, solange man den Körper außen vor lässt. Im gleichen Atemzug ist auch Annas (Sarah Toth) und Jakobs (Kerem Abdelhamed) Ausflug in die Welt der Online-Pornographie zu verstehen, dessen implizite sexuelle Sehnsucht erst in der digitalen »Vermarktung« ihrer Sex-Tapes zeigt, wie die Digitalität sexueller Inszenierungen, die (in diesem Fall etwas beunruhigende) Seite eröffnet, wie weit man mit seiner Internet-Identität über seinen tatsächlichen Körper hinausgehen kann.

»Lovecut« © Stadtkino Wien

Die Einsamkeit im Zusammensein
Bei all den erzählten Geschichten bleibt nur immer die Frage offen: Was ist es, das plötzlich nicht mehr passt, nachdem man seine Person digital erweitert hat? Ist es der Körper als analoge »Repräsentation«, der nicht mehr d’accord geht mit seiner digitalen Vorstellung oder ist es einfach unsere menschliche Psyche, die noch zu langsam ist, so von einer Ebene auf die andere zu »switchen«? In den letzten Monaten sind ja in allen möglichen Medien gleichermaßen große Worte darüber verloren worden, inwiefern uns die verstärkte Digitalisierung sozial isoliert, ebenso wie wir sie als große Chance verstehen sollten, damit endlich gesamtgesellschaftlich alle »on track« bleiben können, um mit der Schnelligkeit des digitalen Austauschs mithalten zu können. Diese Meldungen mögen ein Dilemma evozieren, das sich dadurch darstellt, dass wir sowohl gleichermaßen mitgehen müssen, damit wir nicht den Anschluss verlieren, als auch, dass wir bei diesem Mitgehen nicht vergessen sollten, dass wir als Menschen trotz allem immer psychisch am meisten von realen Begegnungen profitieren. »Lovecut«‘s junge Porträtierung dieses Problems kann der*dem aufmerksamen Zuschauer*in eigentlich nur bestätigen, dass dieser Spagat nicht leichtfällt und die Tendenz, immer »switchen« zu müssen, inzwischen einfach schon sehr früh ansetzt und sich als Verhaltensmuster manifestiert.

»Lovecut« © Stadtkino Wien

Beziehungsleben 2.0
Ob das eine gute Sache ist, sei dahingestellt. Möglicherweise kann man da noch eher etwas »einlenken«, bevor es sich psychisch vermehrt als Belastung ausdrückt. Gleichermaßen zeigt der Film aber auch, dass die Mannigfaltigkeit an Möglichkeiten im Internet schon für Teenager genauso erdrückend sein kann. Fakt ist, dass jene neuen Muster und Wege für menschliche Beziehungen und Gefühle nicht mehr weggedacht werden, allerdings gleichermaßen psychisch belastend werden können und der »Übergang« zur realen Begegnung dann oft immer schwieriger wird. Andererseits muss man bedenken, dass genau diese Möglichkeiten, gerade in Bezug auf die Covid-19-Situation, vielerorts einen Austausch möglich gemacht haben, dessen Fehlen eventuell noch viel schwerwiegendere soziale und psychische Folgen gehabt haben könnte. Langer Rede kurzer Sinn: »Lovecut« zeigt uns auch, dass eine Aufklärung zu den in ihm behandelten Themen dringend früher notwendig ist, gerade weil man ein »digital native« ist und gerade weil man als Mensch, abseits der geradlinigen Pfade, auch ab und zu die Zerstreuung sucht, deren digitale Auswüchse inzwischen einen großen Teil unseres Lebens ausmachen.

Österreichischer Kinostart ist der 28. August 2020.

Links:
https://lovecut-film.com/
http://stadtkinowien.at/film/1231/

Home / Kultur / Film

Text
Ania Gleich

Veröffentlichung
25.08.2020

Schlagwörter


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