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»Le Havre«

Aki Kaurismäkis neuer Film feiert die Solidarität von Menschen an den Rändern der Gesellschaft.

Marcel Marx (André Wilms) war früher ein Schriftsteller in Paris (Kaurismäki-Kennern ist die Figur aus »La Vie de Bohéme« bekannt), das Künstlerleben hat er hinter sich gelassen, dieser Tage verdingt er sich als Schuhputzer in der Küstenstadt Le Havre. Mit seiner Frau Arletty (Kati Outinen) lebt er in einem winzigen Häuschen unweit des Hafens. Die mageren Einkünfte reichen gerade für ein Auskommen des ältlichen Paares. Während Arletty wegen einer schweren Krankheit im Spital liegt, findet Marcel einen halbwüchsigen, afrikanischen Flüchtlingsjungen, den er bei sich zuhause versteckt. Zwar verdächtigt die Polizei den Schuhputzer, den illegalen Einwanderer zu verbergen, doch mit Hilfe von freundlichen Nachbarn und Bekannten versucht Marcel Marx den Buben vor der Abschiebung zu bewahren. Daneben erzählt »Le Havre« mindestens eine wunderbare Liebesgeschichte.

Märchen mit politischer Aussage
Arbeitslosigkeit und Armut gehören zu den Grundthematiken in Kaurismäkis Filmen, gesellschaftliche Irrelevanz kann man seinen Arbeiten sicherlich nicht absprechen. In »Le Havre« behandelt Kaurismäki jedoch ein dezidiert politisches Thema. Ungerechtigkeit, finanziell prekäre Umstände usw. schienen in einigen seiner anderen Filme nicht nur äu&szligeren Umständen geschuldet, sondern schicksalhaft mit den individuellen Persönlichkeiten verquickt zu sein. »Le Havre« erweckt auch ein wenig den Eindruck eines Lehrstücks mit appellativem Charakter. Natürlich ist sich Aki Kaurismäki bewusst, die Welt nicht ändern zu können und so bezeichnet er seinen Film selbst als »Märchen«. Dementsprechend setzt er seine Geschichte in farbkräftigen Bildern um, die präzise durchkomponiert sind. Farben, Gegenstände, Kleidung sind aufeinander abgestimmt, der Beginn jeder Sequenz könnte auch als eigenständiges Foto funktionieren. Das wirkt einerseits zwar etwas statisch, andererseits erzeugt dies aber enorme Eindringlichkeit.

Typisches Kaurismäki-Ensemble
Ästhetisch ist Kaurismäki ein Nostalgiker und so entsprechen die Innenarchitektur und das Styling der Personen gro&szligteils den 1950er-Jahren. Das Mobiliar in Wohnungen, Ladeneinrichtungen, das Interieur von Lokalen ist altmodisch oder eigentlich perfekt konserviert. Faszinierend an den Arbeiten des finnischen Regisseurs sind aber nicht nur die liebevoll inszenierten Settings und seine spezielle lakonische Erzählweise, sondern auch die Wahl seiner prägnanten DarstellerInnen (in diesem Film fast ausschlie&szliglich Leute jenseits der 50). Kati Outinen und André Wilms gehören ja quasi zum Stamm-Ensemble, auch der Nouvelle Vague-Held Jean-Pierre Léaud hat wieder einen kleinen Auftritt. Jean-Pierre Darroussin verkörpert einen Polizeikommissar, der einem ziemlich alten Kriminalfilm (z. B. nach Simenon) entsprungen sein könnte. Georges Simenon, dessen Romane meist in der Welt der kleinen Leute, der grauen Städte, der verkommenen Hafenviertel spielen, könnte auch Pate dieser Story sein, nur dass hier die kleinbürgerliche Tragödie verweigert wird und ein letztlich optimistisches Bild gezeichnet wird.

»Le Havre«: Finnland, Frankreich, Deutschland 2011. Regie: Aki Kaurismäki. Mit: Pierre André Wilms, Kati Outinen, Blondin Miguel, Jean-Pierre Darroussin, Jean-Pierre Léaud, Roberto »Little Bob« Piazza, Pierre ?taix u. a.

Ab 3.11.2011 in österreichischen Kinos

Home / Kultur / Film

Text
Jenny Legenstein

Veröffentlichung
24.10.2011

Schlagwörter

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