Im Kalenderjahr 2011 gab es im YouTube-Rap-Game noch keinen Polaroid-Filter-Auto-Tune-Teenage-Rap, der sich trotz gegenkultureller Inszenierung binnen Wochen im Kanon der Kulturindustrie einzuordnen wusste. Es gab in dieser vorzeitlichen Internetwelt noch nicht einmal 1080P-Videoqualität. Dafür gab es aber ein mystisches Fabelwesen, den Täubling, der rigoros mit den Menschen und ihrer Kultur abrechnete, dabei jedoch vom hoffnungslosen Unterfangen absah, Gleiches mit Gleichem zu schlagen.
Das Musikvideo schlug kräftige Wellen im (sub-)kulturellen Untergrund. In unmissverständlicher Radikalität wurde Rap als künstlerische Ausdrucksform zu etwas Neuem verarbeitet, fernab von mackerhaftem Gebrüll über Geld, Sex und Muskeln. Dafür stand Gender bereits im Erstlingswerk Motiv, Gewalt und Häresie gab es auch – so wird etwa Xavier Naidoos Doppelgänger im Video gekreuzigt – und aus dem lippenstiftroten Mund des Täublings donnerte der Hass auf Gesellschaft, Politik und Kultur hernieder:
»Scheiß auf eure Ästhetik, eure Ästhetik ist wie Wurmfraß, nur schlimmer. Meine Ästhetik ist Jörg Haiders Leiche als Seife in meinem Badezimmer. Ich wasch mir den Rücken mit dir, Jörg, und lese dir aus der Bibel vor. Wenn man die Bibel vorwärts liest, kann man satanische Botschaften hören.«
Amadeus Magnus Ephraima Täubling
Ein gutes Jahr später wurde ein anderthalb-minütiger Track veröffentlicht, in dem der »Professor für Angewandte Misanthropie« und »Begründer der Strömung des Radikalen Misanthropismus« Amadeus Magnus Ephraima Täubling von seiner Ligeti-Passion und seinem einzigen Schüler – Klaus Kinski – erzählte. Der Track zog lange Jahre der Stille nach sich, im Zuge derer die verzweifelten Täubling-Fans unaufhörlich degenerierten. Das geradezu messianische Album-Announcement »Bäms« (zensierte Fassung) ging schließlich nach einem gefühlten Jahrhundert im Februar diesen Jahres auf YouTube und xHamster online. Zu sehen ist der Täubling’sche Schmekel, der in erigierter Form auf eine auf dem Tisch liegende Erdbeere niederschmettert.
Die erste Single-Auskopplung veröffentlichte der Täubling Anfang April 2017 mitsamt Video auf YouTube. »Für Jean Baptiste« heißt das Werk, dessen Motiv die zitronenbittere Liebe im schlechten Leben darstellt. Ein bewährter Inhalt, jedoch in radikale Form gegossen: Von Homoerotik gezeichnete visuelle Ästhetik und von feinfühliger Klavierarbeit getragene musikalische Versiertheit treffen sich an einem befremdlichen Ort, Lust- und Trauerspiel werden in Gleichzeitigkeit aufgeführt. Das Klavier hat der Hase selbst eingespielt. Lyrisch zwischen Vulgarismus und ästhetischem Symbolismus beheimatet, lässt er sich von der Muse seines Hasses, Jean Baptiste, dem einzigen »Nicht-Penner«, die Gedichte Georg Trakls in seine Löffel flüstern.
Konvention und Bruch
Das Album selbst bricht abermals mit allen Erwartungen, als Gesamtwerk wie fortwährend in sich selbst. Es beginnt mit einem fantastischen Streicher-Arrangement – Viola, Violine, Cello – welches DIY-Wunderkind Amadeus Täubling selbst komponierte und von befreundeten Musiker_innen einspielen ließ. Die »Fuge in tä-Moll« hat wesensgemäß ein sich wiederholendes Thema, das im Arrangement von Track #2 vom Kontrabass weitergetragen wird. In radikalem Kontrast setzt an diesem Punkt der Lo-fi-Beat des kaum gealterten Erstlings-Tracks »Der Täubling« ein, welcher freilich auf dem langersehnten Release nicht fehlen durfte.
Der erste neue Titel ist schließlich #3 »Du Penner«. Obzwar im Singular formuliert, richtet sich dieser Text nach universalistischem Prinzip an alle Menschen, vorgetragen auf einem unangenehm aufdringlichen New-Rave-Beat, der in der Hälfte des Stücks plötzlich abbricht und von einer wahnhaft wirkenden Lesung samt Chorgesang abgelöst wird, in welcher Wolfgang Schäubles Fehlleistung bei den Paralympics thematisiert wird. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird klar, dass nichts auf dieser Platte entlang konventioneller musikalischer Erzählungen verläuft. Kurz zuvor eingeführte Stilmittel werden zugunsten anderer wieder verworfen, um später wieder eingesetzt zu werden.
Absurdes Theater
Im anschließenden Titel #4 »Antifriedenstaube« folgt Günter-Grass-Trashing, Lo-fi-Beat, Low-cut-Klavier, Chanson-Sample und schließlich ein Männerchor mit mysteriöser Orgelmusik, gefolgt von #5 »Metamüde«, einer Art Lesung, die man beinahe dem absurden Theater zuordnen müsste:
»Wenn man Nagasaki rückwärts sagt, klingt das auch wie eine japanische Stadt. Ist das jetzt rassistisch oder belanglos? Beim Antifa-Treffen in Rüsselsheim ist man sich einig, die Weltrevolution steht und fällt mit dieser Frage.«
Track #6 – Cut, Gitarre, Rap-Beat, absurd-politische Lyrics:
»Mein Opa beißt sich zwei seiner schwarzen, abgefrorenen Stalingrad-Finger ab, weil er denkt, sie wären ein Twix. Doch das T9 eines Handys kennt Neger und Napola, alles halb so wild, das kriegst du auch mit der Nase hin, Opa.«
Im Herzen des Albums steht die Single-Auskopplung »Für Jean Baptiste«, in »Mordinterlude« kehrt das melodische Thema der Fuge zurück, zu welchem der mordlüsterne Thomas Bernhard im O-Ton spricht. Vier weitere Tracks und einen Live-Mittschnitt hat der virtuose Hasenrapper auf seine LP gepackt, es gibt mehr Kontrabass, mehr Streicher, mehr Spoken Word, mehr Hass, mehr Theatralik, mehr radikale Kulturkritik, eine Klarinette, eine Cabasa und jede Menge wahnsinnige Komik, jedoch unbeständig, denn Tristesse und Depression, die ertragreichsten Musen der Kunst, verhindern enthemmtes Publikumsgelächter.
Das Täubling’sche Unbehagen
Die Motive und Gegenstände des Täubling’schen Hasses sind vielfältig: Heteronormativität, Religion, NS-Vergangenheit, deutsche Grammatik, Kultur und Kulturindustrie … Trotz der scheinbaren Komik sollte der gesellschaftskritische Moment des Gesamtkunstwerkes Täubling zu keinem Zeitpunkt unterschätzt werden. Der Künstler hinter dem Hasen-Avatar verbleibt in mysteriöser Anonymität, was ihm gemäß des verwendeten Pumuckl-Spoken-Word »Es ist ein dummes Gefühl, sichtbar zu sein« eine besondere Ausdrucksfähigkeit zuteilwerden lässt. Gepresst auf schwarzem Vinyl wurde hier Kunst geschaffen, die ihresgleichen noch finden muss, die ein einzigartiges musikalisch-theatralisches Unbehagen in der Kultur ausdrückt. Kompromisslos.
Die LP »Der Täubling« ist am 21. April 2017 auf Sichtextot erschienen. Die letzten Exemplare der auf 500 Stück limitierten Erstauflage könnt ihr hier erwerben. Cover und Booklet der Vinyl-LP wurden mit DIY-Risodruck hergestellt, von Hasenpfote nummeriert und selbst zusammengenäht.
Den Täubling gibt’s übrigens auch live, aber Obacht: Er soll das Publikum mit Zitronen bewerfen!
05.05. Trier – Exhaus
06.05. Stuttgart – Freund und Kupferstecher
12.05. Duisburg – Djäzz
13.05. Halle/S – Chaise
19.05. Nürnberg – Z-Bau
26.05. Frankfurt/Main – Secret Location
taeubling.bandcamp.com
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