Wie fragil eine Freiheit ist, die selbstbewusst eingefordert wird, wussten Max Roach und Abbey Lincoln. Beide Jazzmusiker*innen waren Teil einer politischen Bewegung, die nichts weniger verlangte als die Anerkennung Schwarzer Menschen als mündige Bürger*innen der USA. Ihr Album »We Insist! Max Roach’s Freedom Now Suite« war der Befreiungsbewegung Schwarzer Menschen gewidmet, in den USA und weltweit. »We Insist!« erschien am Ende des »afrikanischen Jahres«. 1960 traten 17 afrikanische Staaten den Vereinten Nationen bei und zementierten damit den panafrikanischen, antikolonialen Ruf nach Selbstbestimmung und Freiheit. Schon kurz darauf schien all das in Gefahr. In der Nacht des 17. Jänner 1961 wurde Patrice Lumumba, erster Premierminister des unabhängigen Kongo, auf brutale Weise hingerichtet, im Beisein belgischer Offiziere. Das Land versank im Krieg. Abbey Lincolns markerschütternde Schreie am Ende des Songs »Triptych / Prayer / Protest / Peace« wurden zum Soundtrack eines verzweifelten Befreiungskampfes. So zumindest sieht es Johan Grimonprez’ Dokumentation »Soundtrack to a Coup d’Etat«. Ein Film, der die brutale Historie des Kongo und den Protest des US-amerikanischen Jazz auf furiose Weise zusammenbringt.
What a Wonderful World
Im UN-Sicherheitsrat herrscht Aufruhr. Mittlerweile sitzen auch afrikanische Staaten mit am Verhandlungstisch. Nikita Khrushchev, erster Sekretär der Kommunistischen Partei, hält eine flammende Rede gegen den Kolonialismus und für die Unantastbarkeit des Kongo. Khrushchev fordert nichts Geringeres als die weltweite Dekolonisierung. Daraufhin bricht Unruhe im Saal aus. So ganz möchten die alten Kolonialherren nicht vom Kongo lassen. Nicht nur der belgische König Baudouin, sondern auch die US-Regierung unter Dwight D. Eisenhower zeigt sich interessiert, die Kontrolle über das rohstoffreiche Land zu behalten. Vor allem das Uran gilt als Schlüsselelement im Kampf um die Atomvorherrschaft im Kalten Krieg. Auch das wird Khrushchev nicht gefallen. Plötzlich, während all dieser Wirren im UN-Rat, öffnet sich ein Vorhang. Dahinter steht kein anderer als Louis Armstrong, mit der Trompete in der Hand, ein gewinnendes Lächeln im Gesicht. Jazzdiplomat im Auftrag der USA. Eins, zwei, drei, vier. Das Konzert beginnt.
Eine überraschende Szene unter vielen. »Soundtrack to a Coup d’Etat« ist nicht nur ein hochpolitischer Film voller Debatten, mitsamt einem flotten Jazzsoundtrack. Er ist auch ein herausforderndes Experiment, das mithilfe von Montagen zusammenbringt, was scheinbar nicht zusammengehört. Scheinbar. Denn tatsächlich stand Armstrong dem Kalten Krieg und damit dem Konflikt um die Unabhängigkeit des Kongo nicht fern. Als Jazzdiplomat hatte er die Aufgabe, das Image der USA weltweit zu bessern, gerade in den Ländern Afrikas. In ihrem Kampf um Unabhängigkeit sollten die aufstrebenden jungen Staaten den USA und ihrer Kultur weiterhin gewogen sein. Gleichzeitig dienten die medienwirksamen Gigs von Musiker*innen wie Nina Simone, Duke Ellington und Dizzy Gillespie als Ablenkungsmanöver, in Armstrongs Fall für den Coup gegen den frischgewählten Patrice Lumumba im Kongo. Eine bittere Ironie, wenn man bedenkt, dass ein Schwarzer Musiker dafür instrumentalisiert wurde, den Mord an einem Schwarzen Politiker zu übertünchen.
Afroamerikanische Bürgerrechtler*innen, allen voran der charismatische Malcolm X, kämpften lautstark für die Unabhängigkeit des Kongo und für die Unantastbarkeit Lumumbas. Der globale Befreiungskampf Schwarzer Menschen, den Musiker*innen wie Nina Simone, Abbey Lincoln oder Max Roach mit wütenden bis ins Atonale reichenden Songs begleiteten, verwies sowohl auf die USA als auch auf die jungen Staaten Afrikas. Rassistische Gewalt und Segregation bestimmten den Alltag vieler Menschen. Und das noch weit über das Jahr 1967 hinaus, in dem Louis Armstrong seine liebliche Single »What a Wonderful World« veröffentlichte. Zu diesem Zeitpunkt war Patrice Lumumba längst tot und verscharrt. Joseph Mobutu, ehemaliger Armeekommandant unter Lumumba und schließlich Putschist gegen denselben, war Präsident der Demokratischen Republik Kongo, unterstützt von den USA, speziell der CIA. Diese hatte bis zuletzt selbst an Mordplänen gearbeitet. So sollte eine kleine Dosis Gift in Lumumbas Zahnpasta oder Essen geschmuggelt werden. Anders als die Hinrichtung durch die Putschisten misslang dieser Anschlag jedoch.
We Insist!
»Soundtrack to a Coup d’Etat« ist ein spielerischer Angriff auf die Sinne. Eine 150-minütige Tour de Force, die den Wirbelsturm der Ereignisse zwischen 1960 und 1961 sinnlich fassbar macht. Im Rhythmus eines John-Coltrane-Tracks eilt der Film durch die Archive, reiht Aufnahmen politischer Ereignisse an Konzertmitschnitte, Interviews und Zitate, mixt Kunst und Politik nahtlos miteinander. Problemlos wird etwa Khrushchevs polternde Faust im UN-Sicherheitsrat zum Rhythmus des Jazzsoundtracks gemischt. Warum auch nicht, wenn Rhythmus zentral für den Jazz ist und wenn der antikoloniale Widerstand der 1960er nicht ohne den Jazz zu denken ist.
Im Kern ist der Film des belgischen Künstlers und Regisseurs Johan Grimonprez ein klassischer Dokumentarfilm, der chronologisch erzählt und dokumentiert. Zugleich nutzt er die Techniken des Films so ausgiebig, dass man das straffe Drehbuch dahinter schnell vergisst. Nur die Figuren und Gesichter bleiben. Die flammende Rhetorik und das Charisma von Patrice Lumumba, Malcom X oder Dizzy Gillespie füllen den Raum und lassen nur staunen – angesichts des lebendigen Protests, der Wut, dem kulturellen Gedächtnis und der Unnachgiebigkeit. Auch von Musiker*innen wie Abbey Lincoln und Max Roach, die ihre sanften, klagenden, schreienden Manifeste in Sound verwandelten. Wir wissen, dass die demokratische Freiheit des Kongo im Jahr 1961 ihr Ende fand. Der Soundtrack zum Kampf aber bleibt im Ohr. »Dim my path and hide the way / But we’ve made it Freedom Day«. (Abbey Lincoln & Max Roach: »Freedom Day«)











