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Donaufestival, Woche 01: 21.-23. 4. 2005, Krems

In der Kremser Messe wartete eine Line Up auf die Gäste, wie es in Österreich wirklich Seltenheitswert hat. Chicks On Speed, Alec Empire, J.G. Thirwell, Xiu Xiu, Prefuse 73, Thalija, Zeitkratzer, Sleater-Kinney, Liars. Noch Fragen?

Beeindruckend. Das war die einfachste Zusammenfassung des Donaufestivals gemäß diversen Beschreibungen im Vorfeld. Das von Tomas Zierhofer-Kin kuratierte Programm sollte für drei Wochen das Bundesland Niederösterreich und anreisewillige Fans beglücken. Und allein am ersten Wochende wurde mit einigen großartigen Headlinern aufgewartet, weswegen die Messehalle auch angenehm ge-, aber trotzdem nicht überfüllt war.

Petri Sirviö, Leiter des MIESKUORO HUUTAJAT, des finnischen Chors der schreienden Männer, hatte Männer mit kräftigen Stimmen aus Krems und Umgebung gecastet. Diese mussten nichts weiter tun, als die Hymne des Donaufestivals zu brüllen. »An der schönen blauen Donau …« ist ein rhythmisch wie melodisch sehr schön-eigenartiges Stück Vokalskunst, das aufgrund seiner grandiosen Darbietung auch wirklich aufzeigte, wie fremdartig Melodik wirken kann, wenn sie sich mal nicht an konventionelle Maßstäbe hält. Und wie unheimlich wohltuend so eine Abwechslung sein kann. Die Hymne dient von nun der Eröffnung jedes Abends und erinnert somit mit jedem Mal wieder daran, dass die Donau sehr viele verschiedene Regionen durchfließt, bevor sie beim Donaufestival vielerlei Unterschiede zusammenbringt.

CHICKS ON SPEED vermochten mit ihrem kunstvoll-ambitionierten Electro-Clash-Projekt zwar durchaus die Tanzbeine in Bewegung zu bringen, aber allzu viel Schwung oder Elan gab es in ihrem Set leider nicht. Zu abwechslungslos schienen die Beats, zu groß bemessen die Performance. ALEC EMPIRE hingegen war natürlich kein Superlativ zu gering, hier ging es um Härte und Nachdruck im selben Atemzug. Dass sein Hardcore-Entwurf mit nacktem Oberkörper ebenso funktioniert wie mit lästigen Noise-Trash-Elementen, bewies seine Show allemal. Auch wenn der Sound mittelmäßig und seine Stimmung halb-mies war.

Opener am Freitag: Stargast J.G. Thirlwell durfte das Publikum (der vordere Bereich war gar bestuhlt) mit zwei Performances beglücken: als STEROID MAXIMUS (mit Thirlwell als Dirigent) und der ersten Live-Präsentation des neuen FOETUS-Albums (mit Thirlwell als … ähm, »Sänger«). Sein Ensemble war eine vielköpfige Schar an jungen Menschen – Bläser, Streicher, Percussionisten, Keyboards, Gitarre, Bass – und klang wie ein gut eingespieltes Orchester. Die erste Show war rein instrumental und wusste mit aufregend-exotischer Rhythmik und mit sehr bekannten Melodien von James-Bond-Themen bis hin zu »Take Five« zu gefallen. Steroid Maximus belegte den Status von Thirlwell als Ausnahme- und Extremkünstler. Diese Reputation hat er mit Foetus schon einige Jahre zuvor erarbeitet. Thirwell wirft da seit 1981 die Industrial-Schatten seiner Nachfolger voraus und war trotzdem nie ganz dem Klischee verfallen. Als Produzent und Remixer von u.a. NIN bis, ja sogar Red Hot Chilli Peppers, hat er musikalisches und produktionstechnisches Talent sondergleichen bewiesen. Das neue FOETUS-Werk steht dem nicht nach. Das besagte Orchester beschreibt eine stete musikalische Weiterentwicklung, Thirwell krächzt mit einer Inbrunst, die sonst vielleicht nur Mark E. Smith zugute steht, und zusammen ergibt das einen hochprozentigen Cocktail aus urbanem Mythos, Angstschweiß, Klaustrophobie und unwirklichem Chaos.

Es folgte Nicht-mehr-so-ganz-Geheimtipp Jamie Stewart a.k.a. XIU XIU, der mit seiner Begleiterin wie schon 2004 im Wiener Chelsea eine sensationelle Performance auf die Bühne brachte. Diese Lieder sind von einer derartig ungreifbaren Schönheit und Zerbrechlichkeit, dass selbst Stewarts eigene Körperzuckungen und Explosionen das Publikum immer wieder erschrecken ließen. »Fabulous Muscles«, das vielgelobte letztjährige Sensations-Album, und das bald kommende neue Werk »La Foret« wurden hier in einem emotional dicht gewobenen Klangteppich vielschichtig verarbeitet und nahmen durch die berührende Nähe der Künstler zum Publikum (trotz drei Meter fragwürdigem Graben) nur an Intensität zu. Erschreckend großartig. Wer danach noch Kraft genug hatte, konnte sich bei einem intensiv-saftigen PREFUSE 73-Auftritt die Hüfte auskugeln. Bassist und Drummer sorgten hier mit DJs und Knöpfchendrehern für Abstract und weniger Abstract Hip Hop. Der Fokus liegt auf instrumentalen Experimente, statt auf MCs. Also eher scheiternder Live-Jam als Wortakrobatik.

Der dritte und letzte Abend dieses Wochenendes brachte mit THALIJA einen der aufregendsten österreichischen Postrock-Acts der letzten Zeit auf die Bühne. 15 Menschen stehen im Kreis und schaukeln sich gegenseitig in ungeahnte Höhen und Tiefen von vielstimmigen Gitarren und mehrmals geloopten Bass- und Drumlines. Was auf der gleichbetitelten Platte schon so gut funktioniert, ist natürlich live durch Intensität und Improvisation der kollektiven Trance noch viel näher. Gut gemacht. ZEITKRATZER sind eigentlich mit ihrem Namen schon am besten beschrieben. Analog-Noise kratzt sich durch die Oberfläche der Instrumente und lässt die dabei entstehenden Wunden produktiv auf das Publikum wirken. Der Geigenbogen löst sich auf, das Klavier wird zum Schlagzeug. Lou Reeds »Metal Machine Music« (des weiteren wurden Werke von Merzbow und Zbigniew Karkowski aufgeführt) im Hinterkopf ist hier »Laut und Laut gesellt sich gern«-Devise, auch wenn die elektronischen Verzerrer und Rückkopplungen fehlen. Gute, aber auf Dauer anstrengende Art und Weise, die Reibungsfläche von Musik selbst zu zerkratzen.

Der Hauptact des vermutlich gesamten Donaufestivals war für nicht wenige Angereiste aber ohne Frage SLEATER-KINNEY. Das Trio ist die prototypische Vorzeigeband der Riot Grrrl-Bewegung, und schaffte es auch, die eigene Kampfzone in den Mainstream hinein auszuweiten und (Le Tigre ähnlich) einen hohen Popularitäts- und Bekanntheitsgrad zu erreichen, ohne die Ziele des eigenen (politischen) Projekts zu verraten. Nach einer Phase der Zurückgezogenheit, kehren Sleater-Kinney demnächst mit dem Album »The Woods« zurück. Ausufernder soll es werden, länger sollen die Songs sein, und damit rüttelt dieser neue Tonträger an den Grundfesten des Sleater-Kinney’schen kompakt-trockenen Punkrocks. Live vermochten die großteils neuen Songs leider nicht zu begeistern, zu abwechslungslos schien die Darbietung. Auf halbem Weg zu einer Neuerfindung des Sonic Youth-Rades bleiben Sleater-Kinney bei der zu hoch auferlegten Hürde stecken, ein bedeutungsschweres Prog-Rock-Epos im Riot-Gewand zu erschaffen. Stellenweise dümpeln die drei Damen in belanglosestem Schweinerock-Sumpf und vergessen alte Stärken und junggebliebenen Elan. Ob das auf Platte besser funktioniert, sei dahingestellt.

Den krachig-verspielten Abschluss besorgten die nervösen LIARS, die mittlerweile fast vierteljährlich Österreich besuchen und immer wieder mit ihrer aufgesetzten Show und »Nach Hardcore die Sinnflut«-Sozialisation Köpfe zum Nicken und Münder zum Offenstehen bringen. Energische Drums und wilde Gitarrenwände stoßen aufeinander und versetzen die drei Menschen auf der Bühne (und manche im Publikum) in zirkusartige Verrenkungen. Solide.

Es bleiben also Erinnerungen an einige schöne Momente und die Vorfreude auf Woche 02, mit Schwerpunkt HipHop: Saul Williams und Mike Ladd, seien mal als Beispiele genannt.

Home / Musik / Konzert

Text
Marko Markovic

Veröffentlichung
24.04.2005

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