Vom 22. bis 27. April wird Interessierten in zahlreichen Programmen europäisches Kino offeriert. Die Bandbreite reicht von Spielfilmen, Dokumentationen bis hin zu experimentellen Arbeiten. Crossing Europe setzt seine Schwerpunkte auch heuer wieder auf junge (ost)europäische Filme. Auch Musik- und Jugendkultur ist ein wichtiger Bestandteil des Festivals, was sich sowohl an der Auswahl der Arbeiten, als auch am Programm der Nightline zeigt. Heuer wird dem Publikum erstmalig die neue Programmschiene »Nachtsicht« vorgestellt. Insgesamt 150 Filme werden in ausgewählten Linzer Kinos laufen.
›Anti-Monumente‹ von Lida Abdul
Artist in residence ist heuer die afghanische Video- und Performancekünstlerin Lida Abdul. Abduls Arbeiten setzen sich stark mit der Situation in ihrer Heimat auseinander, langsame, statische Einstellungen bilden auf poetische Weise die karge Landschaft Afghanistans ab, vor deren Hintergrund sich formelhafte Handlungen entspinnen. Ruinen sind ein immer wiederkehrendes Element, »sie stehen für die Künstlerin, deren Arbeiten bereits auf vielen internationalen Biennalen zu sehen waren, als ›Anti-Monument‹ sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft«.
Die Programmschiene »Wettbewerb europäisches Kino« versammelt Debüt- und Zweitfilme junger RegisseurInnen. Viele davon sind erstmals in Österreich zu sehen und bislang noch ohne Verleih. Isild le Bescos Arbeit »Charly« koppelt das Schicksal vom 14-jährigen Nicolas mit Wedekinds Theaterstück »Frühlingserwachen«. Nicolas trifft auf die ein wenig ältere Gelegenheits-Prostituierte Charly, die dem Jungen Einlass in ihre Welt gewährt. »Früher oder später« ist ein interessantes Debütwerk von Ulrike von Ribbeck in dessen Zentrum die 14-jährige Nora steht. Ein coming of age-Drama, das von der ersten Liebe erzählt, von Sehnsüchten und Träumen und einer Familie die langsam einer Katastrophe zusteuert, unfähig zu einer echten Kommunikation.
»Panorama Europa« versammelt Werke, die erstmals in Österreich zu sehen sind, und in denen es vorwiegend um gesellschaftspolitsche Themen geht. »Allein in vier Wänden« etwa schildert den Alltag in einem Kindergefängnis von Tscheljabinsk im Ural, wo 11–16-Jährige einsitzen. Alexandra Westmaier porträtiert hier Jugendliche, die erstmals einen geregelten Alltag erleben und die trotz aller Hoffnungen zu 91 % wieder rückfällig werden.
Joy Division
Das Linzer Kulturzentrum Kapu ist auch heuer wieder eine wichtige Spielstätte. Hier finden Filme Platz, die sich um Musik- und Jugendkulturen drehen. »Joy Division« von Grant Gee sollte man beispielsweise auf keinen Fall missen. Der Film bannt auf 35 mm den Aufstieg und das plötzliche Ende der Band aus Manchester, zu Wort kommen u.a. die verbliebenen Bandmitglieder von Joy Division. Konzertausschnitte und Interviews komplementieren das filmische Porträt.
»This is England« von Shane Meadows setzt sich ebenfalls mit den Spuren einer britischen Jugendkulturbewegung auseinander. In seinem prämierten Spielfilm findet der junge Shaun in der Skinheadbewegung erstmals Freunde und männliche Rolemodels. Man sieht den Beginn einer Bewegung, die anfänglich sehr offen und verspielt ist und schließlich in Aggressionen und Rassismus mündet, als ein altes Gangmitglied aus dem Gefängnis zurückkehrt. Ein sehenswerter Film über das working-class-England der frühen Achtziger Jahre, die Wirren des Falkland Krieges, die Thatcher-Ära und das Aufkommen der rechtsradikalen »National Front«.
In einem weiteren Special werden Arbeiten des 2002 im Kosovo gegründeten Festival »Dokufest Prizren« gezeigt. Und in Zusammenarbeit mit dem litauischen Pendant »Scanorama« stellt Crossing Europe drei wesentliche Filmemacher des litauischen Kinos vor: Audrius Stonys, Aruna Matelis und Sharunas Bartas. »Die Bildsprache greift die Tradition des metaphorischen Bildes der vorangegangen Regiegeneration auf. Ihre Geschichten entwickeln sich aus dem Raum«.
Triste Lebenswelten
In der bereits etablierten und von KINOREAL kuratierten Reihe »Arbeitswelten« zeigt sich ein tristes Bild von Europa , »das sich gegen Migration abschottet und mit Fremdenfeindlichkeit und Arbeitslosigkeit konfrontiert ist«. Arbeit, nicht mehr identitätsstiftend, sondern abstrakt und ungreifbar.
Zu sehen sind drei Arbeiten des deutschen Filmemachers Thomas Heise, zwei davon sind Teil seiner Langzeitstudie über Jugendliche in Halle/Neustadt. in »Stau – Jetzt geht’s los« porträtiert Heise 1992 rechtsradikale Jugendliche bei ihren Lebensabläufen. Die Eltern begegnen dem Lebenswandel ihrer Kinder oftmals mit Irritation und Unverständnis und Hilflosigkeit, das soziale Netz greift nicht mehr. In »Kinder. Wie die Zeit vergeht« sind die Jugendlichen von damals inzwischen erwachsen geworden, die Lebensumstände jedoch keineswegs besser.
Der Filmjournalist Markus Keuschnigg kuratiert heuer erstmalig »Nachtsicht«, die neue Programmschiene von Crossing Europe. Hier werden fünf aktuelle europäische Positionen des Genrefilms versammelt, die uns Angst und Fürchten lehren. »[Rec]« ist einer der Eröffnungsfilme des Festivals. Ein Fernsehteam begleitet Feuerwehrmänner bei einem Nachteinsatz. Wie in »Blair witch project« wird das Kameraauge zum Zuseherauge. »Erste Angriffe. Eine anonyme Autorität siegelt das Gebäude ab, das Ausschalten (des Fernsehers, der Kamera) wird unmöglich. Bild und Ton trennen sich. Die Avantgarde des Horrorfilms.« »Otto; or, up with dead people« feiert in dieser Reihe seine Österreichpremiere. Der Regisseur Bruce la Bruce wird dem Festival (wie auch ein wenig später dem Donaufestival) beiwohnen. Seine Filme sind ein Konglomerat aus Trash, Horror, Schwulenporno und Avantgardekino. Ein junger Mann entsteigt einem Grab und wandelt apathisch durch Berlin.
Dietmar Brehm
Local artist ist heuer der Experimentalfilmemacher Dietmar Brehm. In zwei Programmen versammelt Crossing Europe Arbeiten des Malers und Avantgardekünstlers. Das LENTOS Kunstmuseum Linz präsentiert den von Brehm gestalteten Schauraum, die Landesgalerie zeigt eine Ausstellung. Brehm arbeitet vorwiegend mit found footage, »pornografische Filmsplitter legt er unters Messer. Brehms Kino ist eine Chirurgie des Unbewussten. Er denkt in Serien und in parallel laufenden Filmreihen.« Seine Arbeiten nimmt er oft nach Jahren wieder auf und setzt sie in unzähligen Montage-Variationen neu zusammen. Der Linzer zeichnet, malt, fotografiert und filmt wie ein Besessener.
Erwähnenswert ist auch die »Nightline«, die das Festival als Rahmenprogramm begleitet. Im OK-Mediendeck versammeln sich u.a. illustre Gäste wie der Extremmusiker Didi Bruckmayr, die italienische Band Red Worms’ Farm, der britische Act The Bug feat. MC Warrior Queen und die tschechische Elektropopformation My Name is Ann!