FOTO: Zimmer mit Aussicht. La Piston auf seinem Balkon. © serendipity films
FOTO: Zimmer mit Aussicht. La Piston auf seinem Balkon. © serendipity films

Bewohntes Gerippe

Der Film »Grande Hotel« von Lotte Stoops erzählt die Geschichte eines einstigen Luxus-Ressorts in Mosambik, das zur Herberge für Gestrandete verkommen ist.

1955 eröffnete das Grande Hotel in Beira, Mosambik, ein megalomanisches Prestigeobjekt aus der Endphase des Kolonialismus – ein riesiger Gebäudekomplex, der betuchten Reisenden jeglichen Komfort bieten sollte, umgeben von tausenden Quadratmetern Grünfläche. Allein zur Rasenpflege war ein Heer von Gärtnern abgestellt. 1962 schloss das Haus wegen Unrentabilität, ein Vorläufer der Mega-Luxus-Ressorts, welche heute an »exklusiven« Destinationen aus dem Boden schießen, es besaß übrigens nur rund 120 Gästezimmer. Anfang der 2000er-Jahre lebten etwa 2.600 Personen in dem mittlerweile ruinenhaften Gerippe des Gebäudes. Ein Mikrokosmos, der die Regisseurin Lotte Stoops faszinierte als sie zufällig auf das anziehend-abstoßende Gebäude traf und einige der BewohnerInnen kennen lernte. Ihr Film dokumentiert das Leben im Grande Hotel der Gegenwart und vermittelt aber auch Fakten aus der glamourösen Vergangenheit des Hotels, erzählt so nebenbei die Geschichte der Spätzeit des portugiesischen Kolonialismus und dessen Untergang. »Grande Hotel« erzählt von Entwurzelung, Ausgegrenztheit und Selbstorganisation.

Gestrandete im Hotel
grhotel2.jpgWie zur Blütezeit des Hotels befinden sich im Gebäude Shops und Dienstleistungsbetriebe – Luxusgüter gibt es nicht mehr zu erwerben, bzw. was Luxus ist, definiert sich im Verhältnis zum Einkommen der Menschen. Einer der langjährigen Bewohner bohnert den Holzboden seiner Wohnung – es sind vielleicht die letzten paar Quadratmeter Parkett, sonst lebt man hier am blanken Estrich. Böden, Glasscheiben, Spiegel, Wandvertäfelungen wurden nach und nach abmontiert und stückweise verkauft. Das Mobiliar wurde in den Jahren der Revolution zerstört oder wanderte in Öffentliche Gebäude und Privatdomizile von Politikern, Beamten, Militärs.
Quita muss sich Geld für Lebensmittel manchmal ausleihen, ein Besuch bei der Friseurin inklusive Pedicure ist trotzdem unverzichtbar für die hochschwangere junge Frau. Die Menschen im Grande Hotel sind zwar Gestrandete, Flüchtlinge, eben keine Einheimischen und in der nahen Stadt ungewollt, doch gehen lässt sich kaum jemand. Das Niveau an Stylishness und Sauberkeit ist hoch, obwohl es weder fließendes Wasser und kaum Elektrizität im GH gibt. Man/frau lebt offenbar nach dem Motto »Kopf hoch« und strebt nach Verbesserung, denn die Adresse »Grande Hotel, Beira« stigmatisiert und so steht der Wunsch nach einem eigenem Haus (in Miete) ganz oben auf der Liste der Inhabitants. Recht bürgerlich sind eigentlich die Zukunftspläne, die Ledigen möchten heiraten und Familien gründen, Eltern möchten ihren Kindern eine gute Bildung ermöglichen. Einstweilen hält man sich soso lala über Wasser und hofft, dass einem im buchstäblichen Sinn der Boden nicht unter den Füßen weg bricht oder die Decke auf den Kopf fällt.

Ungeschönte Filmpoesie
Zu Bildern aus der Jetztzeit lässt Lotte Stoops die Stimmen aus der Vergangenheit hören. Ehemalige Angehörige der Weißen Oberschicht, die heute im Exil in Portugal leben, erinnern sich der glanzvollen Tage vor der Entkolonialisierung, es klingt, als ob das Leben damals ein einziges Fest gewesen wäre. Die greise Tochter des einstigen Hotelmanagers trauert ihrer alten Heimat nach: Das portugiesische Meer ist gut, aber es ist nicht das Meer Mosambiks, die Luft ist anders, die Farben sind fahl in der europäischen neuen Heimat, die tatsächlich nie zur Heimat wurde, hier in Lissabon weiß sie nicht einmal, wer auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnt, wo man doch in Afrika jeden in seiner Straße kannte… Auch viele der »Grande Hotel«-BewohnerInnen von heute fühlen sich, auch wenn sie oft schon mehr als ein Jahrzehnt dort wohnen, nicht als »eine/r von da«…
2012 bekam Lotte Stoops Dokumentarfilm den Jurypreis des Menschenrechts-Filmfestivals »this human world« – eine vollkommen berechtigte Entscheidung: Der Film vermittelt eine große Dichte an Wissen, ohne Lehrfilm zu sein, die BewohnerInnen selbst führen das Publikum in ihre und durch ihre Lebenswelt. Der Film schönt nicht und besitzt dennoch Poesie. Inzwischen ist er auch zu einem historischen Dokument geworden, das Grande Hotel wird abgerissen, um einem Business Center Platz zu machen – die »Relokalisierung« der BewohnerInnen ist angeblich aber ein Projekt mit Priorität. Hopefully, yes.

Lotte Stoops: »Grande Hotel«
Belgien 2010, Topkino
Ab 5.4. 2013 im Kino

Home / Kultur / Film

Text
Jenny Legenstein

Veröffentlichung
10.04.2013

Schlagwörter

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