Was, wenn der berühmte »Taxi Driver« nicht Travis Bickle/Robert De Niro wäre, sondern eine Frau? Eine, die kein Taxi braucht, sondern zu Fuß unterwegs ist, deutlich verletzlicher und doppelt so neugierig. Von schäbigen Deals bekommt sie trotzdem genügend mit, nicht zuletzt, weil sie in einem Pornokino arbeitet, einem, das auch Bickle mit seinem Date besucht – und wieder verlässt. Christine hingegen bleibt dort, reißt jeden Abend Tickets ab, zwei Dollar das Stück. Ansonsten schaut sie zu, beobachtet wie der »Taxi Driver« ein düsteres, ungeschöntes New York, begleitet vom schnurrenden Jazz von John Lurie, Frontmann der Lounge Lizards. Vielleicht nicht ganz zufällig erinnert der an den Soundtrack von Martin Scorseses Klassiker. Aber gut, in »Variety« fahren kaum Taxis umher und auch einen brutalen Showdown dürfen die Zuschauenden nicht erwarten. Das 1983 erschienene, abendfüllende Debüt der US-amerikanischen Regisseurin Bette Gordon ist ein zurückgenommenes, fast dokumentarisches Porträt von New Yorker Subkulturen, geformt durch den Blick einer Frau, die ähnlich ungreifbar bleibt wie Bickle. Und damit sollen die Vergleiche auch enden.
Kein Männerfilm – ein Film über Männer
»Variety« ist der Name des Pornokinos, in dem Christine (Sandy McLeod) aus finanzieller Not heraus zu arbeiten beginnt. Eigentlich ist sie freie Journalistin, ihre Artikel finden aber keine Abnahme. Ohne viel Aufhebens beginnt sie also ihre Schichten am New Yorker Times Square. Wenn alle Karten verkauft sind, streift sie durch den ausgestorbenen Eingangsbereich des Kinos. Wie die Stimmen von körperlosen Geistern hallt das Gestöhne im Hintergrund. Christine geht weiter, spickt am Projektor vorbei auf die Leinwand, sieht nackte Körper, verzerrte Gesichter. Schon hier entzieht sich Bette Gordons Film der klassischen Erwartungshaltung, denn ebenso unaufgeregt, wie Christine die Karten abreißt, beobachtet sie das Treiben auf der Leinwand. So tot das Kino auch wirkt, so zurückhaltend bleiben ihre Reaktionen.

Erst als Christine mit ihrem Freund Mark (Will Patton) unterwegs ist, sprudelt es aus ihr heraus. Mit ausgesuchten Worten erzählt sie von den pornografischen Bildern, den drängenden Gesten, den feuchten Geschlechtsteilen. Ihr Ausdruck wirkt starr, genau auf ihren Freund gerichtet. Der aber schaut zur Seite, wirkt angespannt, will ihren Blick nicht spüren. Einmal steht er am Flipper, hämmert die Kugeln herum, scheint die Spannung ablassen zu wollen. Die Kamera filmt seinen Po und Christines Blick bestimmt die Szene. Der Körper des Mannes wird zum Lustobjekt. Die Spiegelung des männlichen Blicks allerdings ist Mark unangenehm. Völlig außer Fassung fragt er Christine, was mit ihr nicht stimme. Ironischerweise ist Mark Investigativjournalist. In seinen eigenen Monologen berichtet er voll Eifer davon, Leuten auf die Schliche zu kommen und etwas Unangenehmes aufdecken zu wollen.
Und dann ist da noch Louie (Richard M. Davidson). Er gibt Christine Anlass, selbst zur investigativen Journalistin zu werden. Eines Tages lädt sie der seriös gekleidete Mann mit muffigen Gentleman-Allüren auf ein Fußballspiel ein – verabschiedet sich mittendrin aber. Christine ist neugierig und verfolgt Louie durch das nächtliche New York, in schummrige Nachtclubs, lärmige Markthallen und an halbdunkle Straßenkreuzungen. Die Kamera beobachtet mit kühlen Bildern, folgt dem neugierigen, nie offensichtlichen Blicken Christines, die wie eine Regisseurin nach idealen Drehorten für ihren Film sucht. Louie dagegen bleibt eine langweilige, halbseidene Erscheinung, wie aus einem Gangsterfilm entnommen. Erst Christines Blick gibt ihm eine sonderbar erotische Aura. In einer faszinierenden Montagesequenz sehen wir ihn immer und immer wieder die Hände verschiedener Männer schütteln. Die Großaufnahmen der greifenden Finger, die ständige Wiederholung – es könnte auch ein sexueller Akt sein.

No New York
»Variety« ist ein Kunstfilm im Gewand mehrerer Genrefilme. Wer einen Thriller oder Krimi erwartet, wird enttäuscht. Bette Gordon, die vor ihrem abendfüllenden Debüt Experimentalfilme drehte (u. a. mit James Benning), nimmt sich Versatzstücke und Figuren aus diesen von Männern dominierten Genres, spielt sie, anders als ein Quentin Tarantino, aber keineswegs mit Frauenfiguren durch. Stattdessen öffnet der weibliche Blick ein reflektierendes Erzählen, voller lustvoller Einlassungen und ohne gewaltvollen Orgasmus am Ende. Kein Anti-Porno, sondern ein Neo-Porno. Im Mittelpunkt steht bald nicht mehr Geschäftsmann Louie, sondern das mitternächtliche New York, das uneindeutiger und queerer ist als die machistische Metropole, die Martin Scorsese sieben Jahre zuvor in »Taxi Driver« porträtierte.
Bette Gordons Film spielt in einem New York, das Punk, Post-Punk und No Wave durchleben durfte – Genres, die nicht aus Kraftmeierei bestehen, sondern aus exaltierten, schrillen Gesten. Figuren aus und um diese Szenen stecken auch im Film selbst. John Lurie von den Lounge Lizards hat den Soundtrack beigesteuert, Tom DiCillo, der auch bei einigen von Jim Jarmuschs Filmen (etwa dem rauen Erstling »Permanent Vacation«) arbeitete, war Kameramann. Die Charaktere des atmosphärischen New York werden unter anderem von Größen der Kunst- und Performance-Szene verkörpert, darunter Spalding Gray und die für ihre ungeschönten und queeren Bildserien bekannte Nan Golding (auch verantwortlich für die Fotografie im Film). Und nicht zuletzt, das garantiert die raue Intimität des Films, kommt das Skript aus den Händen von Kathy Acker, eine queere Autorin, Performerin und frühere Sexworkerin.
Es lohnt sich, dieses New York zu entdecken, geführt vom uneindeutigen, voyeuristischen Blick einer Frau. »Variety« ist nun wieder auf DVD erhältlich. Darauf ist auch der Kurzfilm »Anybody’s Woman« zu finden, eine freundliche Einladung, noch tiefer in das vielseitige Werk von Bette Gordon einzutauchen.











