»Atonal & Hamburg ›Live‹«, 1985/1992 © Ines Schramm
»Atonal & Hamburg ›Live‹«, 1985/1992 © Ines Schramm

»A Lasting Presence«: Test Dept – pt. I

Test Dept melden sich zurück. Mit dem von ihnen, Peter Webb und Alexei Monroe herausgegebenen Buch »Total State Machine« öffnet das Londoner Industrial-Music- und Performance-Kollektiv seine Archive und portraitiert seine agitatorisch-künstlerischen Aktionen. Das Geschichtswerk der anderen Art rollt dabei soziokulturelle Dissonanzen in Großbritannien seit den frühen 1980er Jahren auf. Ein Abriss zur Bandgeschichte.

Dieser Text ist Teil 1 der zweiteiligen Serie zu Test Dept und »Total State Machine«. Teil 2, Heinrich Deisls Auseinander- setzung mit dem Buch, findet sich hier. Original in skug #103, 7-9/2015.

Diesen Mai ist das lang erwartete Buch »Test Dept: Total State Machine« erschienen. Graham Cunnington, Angus Farquhar, Paul Jamrozy und Brett Turnbull – Kernmitglieder der von 1981 bis 1998 existierenden Formation Test Dept – machen darin das Wirken und Schaffen der Gruppe erstmals in seiner Gesamtheit greifbar: eine Oral History tour de force, gespickt mit alten Tagebuchnotizen, zahlreichem Bild- und Flyermaterial sowie Gastbeiträgen von KollaborateurInnen wie Stephen Mallinder (Cabaret Voltaire), Mike Pearson (Brith Gof), Ivan Novak (Laibach) oder Liz Ranken (DV8 Physical Theatre). Mit dem Buchtitel spannen Test Dept einen Bogen zu ihrem Debütalbum »Beating The Retreat« von 1984. Die Nummer »Total State Machine«, so die Band im Interviewsammelband »Tape Delay« (1), thematisiert die effiziente Manipulation durch staatliche (Des-)Information. 

Collective // Community

Die Geschichte von Test Dept liest sich als Geschichte des kulturellen und politischen Klimas Groß- britanniens. Manifest werden die forcierten gesellschaftlichen Solidaritätsbrüche (O-Ton Margaret Thatcher: »There is no such thing as society«), die sukzessive Rücknahme persönlicher und kollektiver Freiheiten, der vehemente Einzug neoliberaler Marktlogik und staatlicher Ûberwachung – grundlegende Facetten eines Programms, das sich nach Öffnung des Eisernen Vorhangs wellenförmig über ganz Europa ausbreiten sollte. Immer schon weit mehr als nur Musik, lieferte Test Dept stets politisch aufgeladene Reaktionen auf diese Prozesse und geriet damit permanent auf den Radar der Staatsmacht.

Test Dept formieren sich 1981 aus Londoner Hausbesetzern und Kunstschulstudenten. Aufgelassene Fabriken und Metallschrott bestimmen das Bild des verkommenen Südlondoner Hafenviertels, das Test Dept zu ihrer Instrumentenschmiede erklären. Das Konzept des Kollektivs wird als Gegenbild zur Rock-Pose entworfen. Auf der Video-Compilation »Program for Progress« (Some Bizarre, 1984) werden in konstruktivistischer Filmsprache à la Vertov und Eisenstein die leitenden Versatzstücke greifbar: futuristisch inspirierter Industriesound, produziert von Stachanow’schen Musikarbeitern, die mit der Präzision und Disziplin japanischer Kodō-Trommler Metall zu sonischen Waffen umrüsten. Ein Requiem für die in ihren Todeswehen liegende Schwerindustrie.

 

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Erste UK-Tour, 1984 © Brett Turnbull

Der Todesstoß kommt postwendend, als die konservative Regierung 1984 weitläufige Zechen- schließungen ankündigt. Landesweit gehen Kumpel auf die Barrikaden. Der einjährige Bergarbeiter- streik spaltet das Land nachdrücklich: Entweder Brandmarkung der Streikenden als »the enemy within« (wiederum O-Ton Thatcher) oder Solidarität mit den Bergarbeitern. Zusammen mit dem South Wales Striking Miners Choir nehmen Test Dept das Album »Shoulder to Shoulder« auf, der Bergmann Alan Sutcliffe steuert eine flammende Rede bei. Ein Schulterschluss disparat gedachter Welten. Ein Wendepunkt britischer Zeitgeschichte vergesellschaftlich vertont. 2014 gemahnen Test Dept mit der Produktion »DS30« an die sozialpolitischen Umwälzungen, die aus der Niederschlagung des Streiks und der Entmachtung der Gewerkschaften resultierten. 

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 Grafikentwurf für »Shoulder to Shoulder«, 1984

 

Collective // Collaboration

Ab 1986 steigern Test Dept die Größenordnung ihrer Live-Shows. Die Gründung der multimedialen Kollaborationsplattform Ministry of Power (MOP) läutet die Zeit der site-specific Performances ein. Zusammenarbeiten mit KünstlerInnen diverser Richtungen – von Tanz (Company of Cracks), Theater (Brith Gof) bis Skulptur (Malcom Poynter) – führen zu Produktionen, die sich in ihrer Mächtigkeit durchaus mit den monumentalen Insignien des Establishments messen wollen. Schlüsselzeichen staatlicher Macht werden regelmäßig überaffirmiert und somit ins Gegenteil überführt.

 

Ihre regelrecht zu einem Manifest verdichtete Produktion »The Unacceptable Face of Freedom«, ein Protest gegen die Abschaffung des Labour-dominierten GLC (2) durch die Tory-Regierung, markiert den Anfangspunkt der MOP-Interventionen. Im selben Jahr werden Test Dept zur EXPO nach Vancouver eingeladen. Während die dortigen Konzerte der Einstürzenden Neubauten oder von Tangerine Dream in den Archiven gelistet sind, fehlt jedweder Eintrag zu jenem Auftritt, den Test Dept »Our Finest Hour« betiteln. LCD-Banner begrüßen BesucherInnen des hochoffiziellen »Britannia Day« mit »The Ministry of Power welcomes the International Brotherhood of Corporations and Con- sumers to EXPO«. Nichtsahnend lässt sich die königliche Militärmusik des Royal Lancashire Regiment in die Performance einbinden. Dahinter laufen Werbefilme der Waffenlobby, Szenen britischer Armee- einsätze, Alan Sutcliffe rezitiert ein Gedicht des nordirischen Hungerstreikenden Bobby Sands, die LCD-Anzeigen künden »British Democracy in Action«. Es verwundert also nicht, dass »Our Finest Hour« mit einer durchgängigen Nachrichtensperre belegt wird.

Wie immer mit soziopolitischem Beiklang ausgestattet, betritt die Gruppe 1988 mit Produktionen wie »Materia Prima« und »Natura Victus« dann auch das Feld vorchristlich inspirierter (Gemeinschafts-) Rituale. Diese Entwicklung kulminiert in der Reetablierung des keltischen Feuerfests Beltane in Edinburgh, das über die Jahre zu einer festen Institution geworden ist. Keltische Geschichte greifen Test Dept zusammen mit der walisischen Theatertruppe Brith Gof in der Performance- und LP- Produktion »Gododdin« (3) auf. Der historisch-literarische Stoff, der um die verheerende Niederlage dreihundert keltischer Krieger gegen eine einhundertausendköpfige anglische Ûbermacht kreist, wird in ein imperialismuskritisches Zeitbild transformiert. Diese Linie verfolgen Test Dept 1990 mit ihrer letzten site-specific Performance, »The Second Coming«, weiter. Zum Teil auf der LP »Pax Britannica« mit ihrer eindringlichen Schlussnummer »The Legacy (A Lasting Presence)« aufbauend, werden Nostalgien gegenüber dem britischen Empire dekonstruiert und staatlich-ideologische Instrumentierungen von (Zeit-)Geschichte demaskiert.

 

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»Demonomania«, 1987 © Test Dept

Collective // Contemporary

»Lest we forget / Better ways / Pride Community / Solidarity! / Collective Action / Shoulder to Shoulder«
»DS30« Manifest 2014

Ab »The Second Coming« konzentriert sich Angus Farquhar, nun ansässig in Glasgow, ganz auf den Performance-Zweig der Band. Aus Test Dept Productions entwickelt sich ab 1992 die Künstlergruppe NVA mit Fokus auf Public Art. Cunnington und Jamrozy tunen sich bis 1998 mit Test Dept in die nomadischen Frequenzen der Sound-Systeme ein und frönen den repetitiven Tanzbeats, ungebrochen unterlegt mit unzweideutigen Statements. In ihren nachfolgenden Soloprojekten bleiben Soundarbeit und multimediale Verschaltungen zentral.

Test Dept haben unablässig kritisch ihre Zeit kommentiert – musikalisch, visuell und konzeptionell. Anstatt im Underground oder in Metadiskursen zu verharren, stand klares und lautstarkes Zeichen- setzen – über Genre-, Professions- und Gesellschaftsgrenzen hinweg – immer im Vordergrund. Gemeinschaftliche Verbindung und Ermächtigung als program for progress. Test Depts Werk bleibt weiterhin brandaktuell. Angesichts fortschreitender soziokultureller Fragmentierung stellt es sich mit monumentaler Schockkraft unmissverständlich gegen jeglichen Eskapismus. Groß angelegte Trans- gressionen dieser Art wären in der heutigen Popwelt durchaus wieder begrüßenswert.   

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»Empire« Tour, 1990, Projektion © Test Dept

(1) Charles Neal: »Tape Delay«. London: SAF 1987, S. 164.
(2) Greater London Council, verantwortlich u. a. für sozialen Wohnbau.
(3) Zu »Gododdin« aus keltologisch-kulturwissenschaftlicher Sicht siehe hier.


 

Auswahl-Diskografie

Test Dept: »Beating The Retreat« (Some Bizarre 1984)
South Wales Striking Miners Choir/Test Dept: »Shoulder To Shoulder« (MOP 1985)
Test Dept: »The Unacceptable Face of Freedom« (MOP 1986)
Test Dept/Brith Gof: »Gododdin« (MOP 1989)
Test Dept: »Pax Britannica« (MOP 1991)
Test Dept: »Tactics for Evolution« (KK Rec. 1998)

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Text
Sophie Unterweger

Veröffentlichung
09.08.2015

Schlagwörter


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