Ja sicher, darin liegt eine der Schwierigkeiten für die Kritik: Die 7. Berlin Biennale lässt sich nicht einfach rezensieren, weil sie prozessual angelegt ist und Ausstellungssituationen an mehreren Orten beinhaltet, zu einem umfangreichen sozialpolitisch ausgerichteten Programm einlädt und auserdem mit einer Reihe von Interventionen im öffentlichen Raum vernetzt ist. Zudem ist auch die ausführlich gestaltete Website, deren Besuch hier mit Nachdruck empfohlen sei, zu berücksichtigen. Doch warum sollte es denn nicht legitim sein, dass Anna Jermolaewa zusammen mit dem Aktivisten und Gründer des Centre for Applied Nonviolent Action and Strategies (CANVAS) von der Universität Belgrad, Sr?a Popovi?, im KW Institute for Contemporary Art am 19. Mai einen Workshop über gewaltfreien Widerstand mit Schwerpunkt zur Diskriminierung von Frauen in osteuropäischen Gesellschaften durchführt? Dabei dreht sich eine zentrale Frage um die Rolle der Kunst und deren kritische Potentiale. Solche Programmpunkte der Berlin Biennale in Kritiken nach deren Mobilisierungsgrad zu beurteilen, ist etwas seltsam. Wer, bitte schön, würde ernsthaft behaupten, ein Symposium, hätte man erst gar nicht abhalten müssen, weil es kein Quotenheuler war und sowieso nur 20 Leute kamen??
Genauso erscheint es doch wohl plausibel, die Länder übergreifenden Protestaktionen gegen die Schließung des Zentrums für visuelle Kultur an der Mohyla-Akademie in Kiew zu unterstützen sowie gegen die dortige Sperre der Ausstellung »Ukrainischer Körper« einzutreten. Am 24. März bereits begannen internationale Demonstrationen unter dem Slogan »Occupy Ukrainian Body – Fight Censorship!«. Wenn die Biennale-Website als Informationsmedium über solche realen Aktionen an verschiedenen Orten konzipiert ist, hat dies symbolische Qualitäten. Erinnert dies nicht an das verloren gegangene Bewusstsein für Internationalismus?
Die Gestaltung eines Stockwerks in der Ausstellung jedenfalls geht in diese Richtung. Als Raum füllendes Panorama zeigt eine Vielzahl parallel laufender dokumentarischer Videos in Großbildprojektion Demonstrationen von Protestbewegungen der allerjüngsten Vergangenheit: Filme des Kollektivs Moisreen aus Kairo über die ägyptische Revolution etwa, Filme des österreichisch-tschechischen Künstlers David Rych oder Videos der »Femen«, jener ukrainischer Frauen, die mit nacktem Oberkörper auftretend Aufmerksamkeit erringen, indem sie Transparente an öffentlichen Gebäuden oder Kirchen entrollen und lauthals Parolen gegen Sextourismus, Frauenhandel und überhaupt Diskriminierung von Frauen schreien, was häufig mit Verhaftungen endet. So daneben und wirkungslos wie es so manche der schreibenden Biennale-Scharfrichter hinstellen, sind deren aggressive Proteste auch nicht. Immerhin erhalten die »Femen« und ihre Anliegen in westlichen TV-Dokumentationen gelegentlich soviel Sendezeit wie Julia Timoschenko; nur eben ohne den Bezug zur Fußball-EM.
Und auf die belarussische Künstlerin Marina Naprushkina loszugehen, die mit Schlüsselfiguren der kulturellen und kritischen politischen Szene Weißrusslands zusammenarbeitet und seit letztem Jahr die Zeitung »Self # governing« herausgibt, grenzt an Bösartigkeit. Auf der Biennale zeigt Naprushkina Teile ihres international oftmals präsentierten, umfangreichen zeichnerischen Werks auf Packpapier mit dem Charakter von Comics oder Storyboards, in dem sie das autoritäre, patriarchalische System unter Präsident Lukaschenko kritisiert und zugleich gesellschaftliche Alternativen vorschlägt; ein hochinteressanter und konzise gestalteter Bereich dieser Biennale! Wessen Auseinandersetzung mit Marina Naprushkina sich in der Anmerkung erschöpft, eine solche »gigantische Fleißarbeit« (so steht’s in der Berliner Zeitung), würde die Machtpolitiker in Minsk auch kaum zur Einsicht bringen, sollte sich ein paar Folgen der »ZDF Heute Show« ansehen, wo zu lernen ist, dass Kunst erstens Form ist, zweitens die Freiheit hat zu sagen, was sie für richtig hält und drittens sogar für mehr Demokratie eintreten darf.
Überhaupt fällt auf, dass manche anlässlich dieser 7. Berlin Biennale ziemlich normative Kunstbegriffe raushängen lassen. Offensichtlich irritiert, dass Biennale Leiter Artur ?mijewski und dessen – auf performative Interventionen spezialisierte – Ko-Kuratorin Joanna Warsza nicht viel von political correctness halten und die Biennale Ausstellung selbst eher unorthodox und visuell unausgewogen gestalteten. Möglicherweise kollidiert da slawische, postkommunistische Mentalität mit einem allzu rigiden Verständnis von Aufklärung auf deutscher Seite. Beispielsweise präsentiert ?mijewski sein eigenes, äußerst umstrittenes Video »Berek« (Fangspiel). Es zeigt eine Gruppe nackter Erwachsener bei einem Kinderspiel in der Gaskammer eines ehemaligen Nazi-Vernichtungslagers und löste eine Debatte über zulässige Bearbeitungen des Holocaust-Themas aus. Parallel dazu startet Lukasz Surowiec seine mit einem Film und 320-Birken-Setzlingen beginnende Aktion »Berlin Birkenau«. Mit entsprechender Aufschrift versehen, werden Borken aus der Umgebung von Auschwitz-Birkenau in Berlin gepflanzt, um auf die geographische Auslagerung des Holocaust nach Polen zu verweisen.
Ziemlich eindeutig ist das Werk von Teresa Margolles, das aus seriell gereihten 313 Titelseiten des mexikanischen Boulevardblattes »PM« besteht. Jedes Titelblatt bringt das Foto einer Person, die im Jahr 2010, also in einem einzigen Jahr also, in der Grenzstadt Ciudad Juarez auf grausame Weise Opfer des wütenden Drogenkriegs wurde. No comment! Bloß erschreckend erstaunlich, dass Teresa Margolles in ihrer Arbeit immer wieder solche dramatischen Themen findet. Natürlich wird die Intervention des ehemaligen Bürgermeisters von Bogota, der einlädt, per Unterschrift und Spende eines Blutstropfen jeglichen Drogenkonsums zu entsagen, den Drogenmissbrauch vor Ort kaum verringern, doch in einer Zeit, in der sich nächtliche Partybesucher oft den letzten Dreck oder irgendwelche verschnittenen Tierhormone reinziehen, kann auch so etwas die Bereitschaft signalisieren, für sich eine persönliche Ethik zu formulieren.
Es mag sein, dass so manches verbale Statement von Berlin Biennale Kurator Artur ?mijewski zu pointiert daher kommt. Es mag auch sein, dass einige der Occupy-Aktivitäten, für die sich diese Biennale einsetzt den Charakter eines post-alternativen Jahrmarkts haben. Auch gab es schon Ausstellungen mit vielleicht stärkeren, komplexeren politischen Positionen. Und ausgerechnet in Berlin so etwas wie, »Engagement« zu reaktivieren ist auch nicht einfach. Trotzdem stimmt der Tonfall, in dem auf die 7. Berlin Biennale in so manchen Kritiken drauf gehaut wird, nachdenklich. Denn es ist das gleiche tendenziell reaktionäre Muster wie »Sozialneid nach unten«, wenn einer Kunstveranstaltung vorgeworfen wird, wie unbedarft und schwach doch deren politische Aktionen wären, und – zugegebenermaßen kaum durchdachte – Ocupy-Veranstaltungen beinahe schon wie pathologische Fälle beschrieben werden, während man den Pathos irgendwelcher Banker, die tagtäglich irgendwas neues »retten«, weiterhin gelten lässt.
Erstveröffentlichung auf artmagazine.cc (23. 5. 2012)
Wer provoziert da wen ?
Nur allzu leicht würde man es sich machen, die 7. Berlin Biennale als gescheitert hin zu stellen, wie beispielsweise aus der taz dröhnend zu vernehmen ist. Interessant jedoch, dass ausgerechnet eine Tageszeitung mit linkem Hintergrund, die Behauptung lanciert, dass hier die politische Kunst diskreditiert werde. So was kann weh tun und steht natürlich im Gegensatz zu den Intentionen der Biennale-MacherInnen. Diese schreiben nämlich ?Engagement? ganz groß auf ihre wehenden Fahnen. Bissige Kommentare dazu häufen sich. Im gleichen Atemzug wird die Frage gestellt, was denn aktuell adäquate politische Kunst sein könnte.
Ein bemerkenswerter Effekt. Die spätestens seit den 1960er Jahren bestehende Aufladung zahlreicher Strömungen der Avant Garde mit emanzipatorischen Diskursen gilt somit als ein status quo. Nachgedacht wird auf Seiten der Kritik sogar über Möglichkeiten der Optimierung. Im Gegensatz zu den einstigen Ressentiments gegen Ute Meta Bauers Biennale-Konzept, dem man noch unterstellt hatte, sie würde die Kunst für das Politische instrumentalisieren, durchaus ein positiver Quantensprung.
Es ist dieser Biennale, die nun kürzlich im KW Institute for Contemporary Art in Berlin-Mitte umrankt vom Berliner Gallery Weekend mit einem riesigen Straßenfest eröffnet wurde, daher auf ihrer Plus-Seite zu verbuchen, dass all die medialen Auseinandersetzungen um sie und ihre Aktionen längst eine eigene Dimension angenommen haben und – wie beabsichtigt – zu einem wesentlichen Teil des ganzen Unternehmens geworden sind. Schon im Vorfeld des Openings der Ausstellung war gezielte Provokation eine der Methoden, Üffentlichkeit herzustellen. Erinnern wir uns nur an die Buchsammelaktion des tschechischen Künstlers Martin Zet »Deutschland schafft es ab«, die breite kontrovers geführte Debatten lostrat. Es war der umstrittene Aufruf zum Recycling von mindestens 60 000 Exemplaren des Sachbuch-Bestsellers »Deutschland schafft sich ab«, in dem immer noch SPD-Mitglied Thilo Sarazin anti-migrantische und anti-türkische Tendenzen befördert.
Währenddessen rief der palästinensische Künstler Khaled Jarrar die Existenz eines »State of Palestine« aus, was er nicht nur per Pass-Stempel-Aktion auf dem Zentralen Busbahnhof von Ramallah, sondern auch noch durch eine Briefmarke bestärkte, die er über das Service »Marke individuell« der Deutschen Post AG produzierte. Und nicht nur das: Am 24. März bereits startete in Italien die weltweite Aktion gegen Zensur ?Occupy Ukrainian Body – Fight Censorship!? aus Anlass der Schließung des Zentrums für visuelle Kultur an der Mohyla-Akademie in Kiew sowie der Sperre der Ausstellung ?Ukrainischer Körper?.
Unschwer zu erkennen: die Idee der Ausweitung. Weg vom lokalen Ereignis. So ähnlich wie Okwui Enwezor die Documenta11 mit einer Serie weltweit organisierter Plattformen zur Debatte von Themen zur Globalisierung startete. Aber wirklich nur so ähnlich, proklamieret doch Kurator Artur ?mijewski gemeinsam mit Joanna Warsza die Abwendung von – angeblich – selbstreferenziellen Kunst- und Theoriediskursen. Manifestativ geht es stattdessen um die Forcierung von Aktivismus, um Aktion und reale Eingriffe.
Da ist es schon ganz gut, wenn Martin Zet durch das Ausrufen seiner Buchsammelaktion, die Frage aufwarf, was in einer demokratischen Gesellschaft eigentlich gesagt werden darf und was eben nicht. Nebenbei hatte er bemerkt, dass all jene, die seine – wirklich nur höchst entfernt ¬- an Zensur oder gar Bücherverbrennung erinnernde Aktion bemäkeln, sich bloß an deren Form stoßen würden, nicht aber am Inhalt des gemeinten Buches. Auch nicht schlecht, wenn Khaled Jarrar nun im Rahmen der Biennale-Ausstellung den Anspruch auf einen palästinensischen Staat und somit auch das in der Gegenwart virulente Thema der Staatsbürgerschaft aufs Tapet bringt.
Fragt man sich jedoch, warum der für Zets Buchsammelaktion reservierte Raum fast leer, aber auch der als alternatives Aktionszentrum mit Sofas, Plakaten, Zeitschriften und da und dort aufgelegten Petitionen gestaltete Hauptraum der Biennale am Eröffnungsabend fast ungenutzt blieb, so mag eine der Erklärungen vielleicht darin liegen, dass einige der sensationalistisch aufbereiteten Themen längst im medialen Mainstream verankert sind. Ausgerechnet am Eröffnungstag der Berlin Biennale nämlich polemisierte auch der ?Berliner Kurier? gegen Herrn Sarazin; allerdings im Namen der eigenen Leute: ?Sarazin verhöhnt Ost-Bürger? titelte das Kleinformat. Leicht wird es die Berlin Biennale mit ihren weiteren Aktionen also nicht haben. Aber es war noch nie einfach, demokratische Diskurse wirksam zu positionieren.
Erstveröffentlichung auf artmagazine.cc (4. 5. 2012)