© Universal Pictures
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Not so funny games

M. Night Shyamalans »Knock at the Cabin« (2023) gefällt sich als cleveres Apokalypse-Kammerspiel, ist aber nichts als projizierte Gegenaufklärung.

Eine Kleinfamilie – zwei Väter, eine Tochter – wird in einer Waldhütte von vier Personen überfallen und mit dem Auftrag konfrontiert, sie mögen ein Familienmitglied auswählen und opfern, also eigenhändig ermorden, sonst gehe die Welt unter. Wie so viele Plots von M. Night Shyamalan (»The Sixth Sense«, »Split«, »Old«) lässt auch dieser sich knackig in einen Satz fassen. Ebenso leicht wäre es, diesen Film in einem Satz abzufertigen. Machen wir eine Frage daraus: Warum zu Zeiten von sich zuspitzenden Krisen über einen Film sprechen, der einen biblischen Apokalypse-Plot humorlos ausformuliert und damit zu Unterhaltungskino macht, was sonst nur geifernde Weltuntergangssekten predigen? Die Frage ist gerechtfertigt, denn dieser Film grundelt beinahe auf dem Level Mel Gibsons (Stichwort »The Passion of the Christ«). Wenn da nicht doch diese Mikrokante gegen religiösen Konservatismus wäre: Die Protagonisten Eric (Jonathan Groff) und Andrew (Ben Aldridge) sind ja ein schwules Paar mitsamt einer Adoptivtochter (Kristen Cui). Das verpasst der biblischen Story jene Injektion Vielfalt, die es offenbar braucht, um nach Maßgabe des neoliberalen Diversity-Gebots als zumindest nicht-reaktionär durchzugehen. Aber das ist wahrlich kein Grund, um über dieses Machwerk nachzudenken.

Eine bessere Antwort auf die oben gestellte Frage lautet: Weil dieser Film sich überraschenderweise als eine Art Gegenpol zu Michael Hanekes Meisterwerk »Funny Games« (1997) lesen und damit hinsichtlich dominanter Mechanismen des Mainstream-Kinos analysieren ließe. Denn »Knock at the Cabin« geht von einem ähnlichen Szenario aus, das dem Subgenre des Home-Invasion-Thrillers entspricht, hält sich allerdings brav an alle Regeln des leicht konsumierbaren Thrillers, die Haneke vor einem Vierteljahrhundert so unerbittlich untergrub: Kein Tier soll leiden, kein Kind soll sterben und am Ende soll das Gute siegen. So geht es zumindest im beklemmenden Kammerspiel-Setting ab und das Wissen darüber stellt sich bereits früh ein. Andererseits aber lässt die Filmhandlung Hunderttausende durch biblische Plagen verrecken (zynisch genug: Auch eine Pandemie ist darunter), was uns bezeichnenderweise nur via Fernsehübertragung gezeigt wird. Das Massensterben am Bildschirm bringt Erleichterung in das Szenario in der Hütte, weil es der Gewalt Sinn verleiht; viel unerträglicher wäre schließlich, wenn eine Familie von einer Gruppe wahnhafter Gestalten einfach so gequält würde. Hier sorgt der Mix von Home-Invasion und Katastrophenspektakel also für eine besonders paradoxe Zuspitzung des niederschwelligen Gewaltkonsums: Die anonym gehaltene Vernichtung von Hunderttausenden wird ganz direkt zum emotionalen Garanten dafür, dass die Home-Invasion-Gewalt erträglich bleibt. Inhaltlich muss der Film mit dieser Unmoral freilich brechen, indem zuletzt eine heroische Läuterung eintritt und die Opfer (victims) sich endlich zum Opfer (sacrifice) bereit erklären.

Schicksalsgemeinschaft der Betroffenen

»Knock at the Cabin« vollzieht schamlos, wogegen »Funny Games« interveniert hat: Der Film erpresst uns mit Betroffenheit und Identifikation. Insbesondere die ständigen Extreme Close-ups von Gesichtern bedrängen uns mit einer Bedeutungsschwere, die geradezu das Gegenteil davon erfüllt, wofür Bela Balázs (1884–1949) die Großaufnahme in seiner frühen Filmtheorie so feierte: Anstatt eine nur mit filmischen Mitteln mögliche Unmittelbarkeit des Ausdrucks – die von den raumzeitlichen Koordinaten der Handlung relativ abstrahiert – zu etablieren, forciert »Knock at the Cabin« das betroffene und angsterfüllte Gesicht als ein gänzlich austauschbares, das den religiösen Plot rechtfertigt. Denn Shyamalan will seine plumpe Standarderzählung von heroischer Aufopferung mittels emotionaler Ambivalenz komplexer aussehen lassen. Die vier Täter Leonard (Dave Bautista), Adriane (Nikki Amuka-Bird), Sabrina (Abby Quinn) und Redmond (Rupert Grint) sind so betroffen und angsterfüllt wie die Überfallenen. Die Gesichter sollen es beweisen; alle sind unschuldig, alle sind gleich, alle sind austauschbar vor dem Hintergrund des großen Ganzen. Egal etwa ob schwuler Mann oder homophober Gewalttäter: Die Betroffenheitsmiene, ständig von der distanzlosen Kamera fixiert, wird zum pathetisch überbetonten Signum des gemeinsamen, regressiven Aufgehens in der apokalyptischen Schicksalsgemeinschaft.

Damit ist Shyamalan ungewollt die perfekte Antithese zu »Funny Games« gelungen, wo trotz der Unerträglichkeit des Gezeigten nie mit der Distanz zum Publikum gebrochen wird, sondern eben diese Distanz als Voraussetzung sowohl für einen komplizenhaften Voyeurismus als auch für dessen kritische Reflexion erfahrbar gemacht werden soll. Shyamalans identitätspolitisch poliertes Schmalspurspektakel lässt uns diesen Voyeurismus aber ungebrochen genießen – vom Leid des austauschbaren Einzelnen (Identifikation/Home-Invasion) bis zum anonymen Massensterben (Spektakel/Apokalypse). Shyamalan setzt uns unter dem Deckmantel der nicht ernstzunehmenden religiösen Ideologie ein Paradebeispiel der bürgerlichen vor: Als verzerrtes Echo der realen Austauschbarkeit des Einzelnen im Kapitalismus und als spektakuläre Bejahung der Krise, die das Kapitalverhältnis seinem Wesen nach ist, drängt sich »Knock at the Cabin« seinem Publikum als mythologisch-rechtfertigender Sinnzusammenhang auf. Das tut beinahe jeder Katastrophen-Blockbuster, aber »Knock at the Cabin« versucht mittels seiner Form – sagen wir: seiner Arthouse-Allüren – darüber hinwegzutäuschen, was hier zum Genuss angeboten wird.

Dystopie der Form

In einem Interviewband mit Thomas Assheuer erklärt Haneke: »Die Moral der Form ist die eigentliche Utopie der Kunst«. Damit ist er inhaltlich nahe an Adorno, der in »Form und Gehalt des zeitgenössischen Romans« (1954) rigoros über moderne Werke à la Dostojewski pointiert: Indem sie »das Grauen ohne Kompromiss verkörpern und alles Glück in die Reinheit solchen Ausdrucks werfen, dienen sie der Freiheit, die von der mittleren Produktion nur verraten wird«. Dieser Anspruch wird bei Haneke nicht zuletzt daran ersichtlich, dass seine Filme bleiben. Sie erlauben kein Vergessen und stellen sich qua ihrer Form – der Genauigkeit des Ausdrucks, die für Haneke eine sowohl ästhetische, als auch moralische Kategorie ist – gegen die Austauschbarkeit der Opfer. Denn an den grausamen Inhalten liegt es ja nicht: Wie viele Ermordete und Gequälte haben wir nach einem Jahr Film- und Medienkonsum vergessen? Haneke verweigert dieses Vergessen ganz ohne falschen Moralismus, ohne melodramatische Überinszenierung und ohne Ausbeutung von Emotionen.

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Shyamalan hat einen Film gemacht, der umgekehrt all das (über-)erfüllt und zudem schneller vergessen sein dürfte als eine bessere Tatort-Folge. Dass seine Stilmittel – Abgegriffenes aus dem Arthouse-Supermarktfach – dennoch daherkommen, als wäre das alles mehr, macht aus »Knock at the Cabin« tatsächlich mehr als nur einen schlechten Film; man könnte von einer Dystopie der Form sprechen.

»Knock at the Cabin« läuft seit 9. Februar 2023 in den österreichischen Kinos.

Link: https://www.universalpictures.at/micro/knock-at-the-cabin 

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