»Die Abenteuer des Prinzen Achmed« (1926) von Lotte Reiniger
»Die Abenteuer des Prinzen Achmed« (1926) von Lotte Reiniger

Leinwandzauberwelten

Das immer wieder schlaftrunkene Tonkino Saalbau überraschte kürzlich mit der feinsinnigen Vertonung eines fast vergessenen Animationsklassikers. Mit Akkordeon und Kickdrum wurden »Die Abenteuer des Prinzen Achmed« (1926) von Lotte Reiniger vom Tiroler Florian Oberlechner vertont und auf 35 mm projiziert.

Florian Oberlechner, Akkordeonist, Bassist und freischaffender Theater- und Filmkomponist, war es ein Anliegen, den ersten Stop-Motion Trickfilm, »Die Abenteuer des Prinzen Achmed«, »in frischem, neuen Gewand erstrahlen zu lassen«. In Wien zum ersten Mal in dieser Form sicht- und spürbar, bot der Filmabend am 9. Dezember 2012 einen beachtenswert sehenswürdigen Schwenk hinter die Kulissen der Entstehungsgeschichte von Lotte Reinigers Meisterwerk.

John Isaacs kurzer Dokumentarfilm »The Art of Lotte Reiniger« verschaffte zunächst einen verblüffenden Einblick in die Kunst des Scherenschnitts der 1949 nach London emigrierten deutschen Animationsfilmerin. Danach tauchte die eher dürftig anwesende Zuseherschaft in den aparten Vertonungsfluss des analog inszenierten Silhouetten-Fünfakters »Die Abenteuer des Prinzen Achmed« (1926) ein.

Ein abendfüllender Stummfilm (mit kurzen, kommunikativen Biererfrischungen dazwischen) wurde jenseits aller musikalischen Kategorien bis in die Quäntchen einer Sequenz durchseziert. Dem Film »immer eine Nasenlänge voraus sein, um dem Erzählfluss folgen zu können«, so beschreibt Florian Oberlechner, was er mit seinem glühend klingenden Akkordeon erreichen wollte. Ein von der persönlichen Tagesverfassung und eigener Kunstfertigkeit geprägtes Momentum, das im Saalbau schlie&szliglich aufging – so gesehen (und gehört) weder Filmmusik oder Musikkomposition, sondern die Entstehung einer freien Vertonung in Bezug zu einem Kompositionsarrangement.

Silhouettenfilme

Lotte Reiniger schuf insgesamt fünfzig Silhouettenfilme, von denen vierzig noch verfügbar sind, die anderen Werke gelten als verschollen. Mit dem Wunsch, Filmschauspielerin zu werden, besuchte sie die Schauspielschule Max Reinhardts am Deutschen Theater. Diese Lehrzeit, umgeben von bedeutenden Bühnenbildnern, Ausstattern, Schauspielern und Regisseuren, formte das Schaffen der jungen Künstlerin und ihren Sinn für dramatischen Szenenaufbau. Die plastische Darstellung sowie die theatralisch-typische Gestik ihrer Figuren entstammen heimlich besuchten Proben, nach denen sie zu Hause Porträtsilhouetten von gro&szligen Künstlern ihrer Zeit schnitt. Paul Wegener war einer davon, dem zugleich Lotte Reinigers meiste Filmbegeisterung galt. Erst später, nachdem sie zu ihm vorgedrungen war, regte er sie zu ihrem ersten Trickfilm »Das Ornament der verliebten Herzen«(1919) an. Es folgten einige Werbefilme, eine Bühnenausstattung für Heinz Hilpert und erste Märchenverfilmungen – ihr Lieblingsgebiet -, ehe sie an ihrem ersten langen und berühmtesten, an »Tausendundeine Nacht« orientiertem Trickfilm »Die Abenteuer des Prinzen Achmed« schnitzte.

Gleich zu Beginn der Nazi-Diktatur verlie&szlig Lotte Reiniger mit ihrem Ehemann Carl Koch Deutschland, »weil ihr diese Hitler-Veranstaltung nicht passte und weil sie sehr viele jüdische Freunde hatte, die sie nun nicht mehr Freunde nennen durfte«. Dazu zählte unter anderem ihr Filmfinancier und Bankier Louis Hagen. Gestorben ist sie 1981 in Dettenhausen. Wen auch immer das Leben und Werk dieser nahezu entschwundenen und märchenliebenden Scherenschneiderin und Buchillustratorin inspirieren, eine weitere Auseinandersetzung lohnt sich.


Credit: John Isaacs – »The Art of Lotte Reiniger« (1970)

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