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Donaufestival Krems 27.-29.04.07

Tagebuch, Freitag 27. April – Patrick Wolf
Habe Patrick Wolf gesehen. Der Faun des modernen Indie-Pop wurde mit leuchtenden Augen erwartet, den ganzen Abend raunten sich schmächtige JĂĽnglinge mit Haaren, die ihnen ständig ins Gesicht fielen, Geschichten ĂĽber ihn zu; Glitter lag in der Luft; Verlangen, Adoleszenz. Gespanntes Erwarten. Dann: Herzzerreißend der Anblick des Teenies neben mir. Das Luftanhalten als die Götter den Vorhang lĂĽpften, und das Erwachen als dahinter kein Himmel lag, sondern ein feister Mittzwanziger in rosaroten Hotpants ĂĽber die BĂĽhne hĂĽpfte. Was Retusche und die richtige Beleuchtung so alles ausmachen können! Lektion eins ĂĽber die Mechanismen der Medienindustrie. Ich musste lachen. Wie viele Teenies hat Patrick Wolf wohl an diesem Abend vor dem Heldentod bewahrt? Anschließend hab ich das Konzert genossen. Die Kremser Halle 1 bietet den Vorteil, dass man immer genug Platz hat und von jedem Punkt aus auf die BĂĽhne sehen kann, auch wenn die Akustik teilweise etwas mau ist und sich jede Partystimmung in der riesigen Location verliert. Doch wenn es einen mal nur um die Kunst geht, um die Performance und um die Musik, kann man so ein friedliches Konzert durchaus genießen. Von der AuftrittsmĂĽdigkeit des jungen Bohemiens, von der in den Tagen vorher gemunkelt wurde, habe ich nichts bemerkt, vielmehr erschien er mir um sein Publikum und seine Show bemĂĽht. Allerdings, den Flair und den Glamour, der seinem Werk anhaftet, konnte er auf der BĂĽhne nicht zum Leben erwecken. Entertainment is hard work! Lektion zwei zu den Mechanismen der Medienindustrie.

Tagebuch, Samstag 28. April – Gang of Four, Kids on TV
Wieder Krems, wieder Halle 1. GewöhnungsbedĂĽrftiger Anblick, wenn ein smarter MittfĂĽnfziger im Anzug auf eine Mikrowelle eindrischt. Gang of Four, und hier trifft die zweite, die dritte und die vierte Generation aus Rock-Punk-Postpunkrock aufeinander. Gelebte Postpost also, hier wird Alter dekonstruiert und Verweigerung demonstriert und ab und an rockt das auch wie Sau. Ab und an rockt das auch zuviel: Kurz fĂĽhle ich mich wie auf einem Konzert von den Dire Straits. Musik auf die man sich einigen kann. Ohje. Hat Rock sein rebellisches Potenzial verloren? Nein, ich hab mich nur selbst ĂĽberholt. Ich bin auch nicht mehr die JĂĽngste, haha! In WĂĽrde altern? Was ist das ĂĽberhaupt? Und was ist Rock’n’Rolle? Kill your idols, sag ich, und dann nicke ich mit den Kopf und schĂĽttle meinen Kopf zu »sweet and sour«. Hauptsache schĂĽtteln.
Die Kids on TV bringen dann eine Frau aus der ersten Reihe dazu ihre Titten zu entblößen, um sich so von ihrem Fummel voll mit rosaroten Pailletten zu befreien. Auf der BĂĽhne ist es auch ganz nackt und bunt. Neonkreischfarben knallen mir ins Gesicht, meine Ohren trifft trashiger Elektro, irgendwo zwischen Peaches und Scissor Sisters, totaaaaal radikal. Versteht mich nicht falsch, anderswo hätte die Performance blendend funktioniert und alle wären in frenetisches Getanze und in die freie Sexualität aufgebrochen. DafĂĽr ist das Doaufestival aber ein bisschen zu bieder, und mĂĽd warn um die Uhrzeit auch alle schon. Aber immerhin hab ich jemanden getroffen der von der Performance von Kids on TV noch so richtig schockiert war.

Tagebuch, Sonntag, 29. April – Alan Vega, Throbbing Gristle
Ozzy Osbourne ist Alan Vega: »Gemma a schöne Leich schaun.« Da sind wir, wir Aasgeier, die wir für das Konzertticket bezahlt haben. »Lebt er noch?« Ja, er lebt noch, eine Ragdoll seiner selbst, ein alter Opa, der aussieht als würde er tote Tauben füttern und auf aufrechte Pfadfinder einhauen. Die Musik ist enttäuschend. Naja, wir Leichenfledderer, wir Voyeure, wir haben auch nichts anderes verdient als Techno aus der Konserve und einen Zombie mit Käppi und Sonnenbrille, der von der Bühne schimpft.
Ja, und dann: Throbbing Gristle. »The Endless Not«. Der neue Albumtitel ist Programm: Endlessssssssssssssssssssssssss. Oder Ohmmmmmmmm, oder surrrrrrrrrrrrrrr oder so. Laut. Seeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeehr laut. Und Not. Sehr Not. Weil: kein Krachbumm. Ich warte ja immer noch auf die Pointe. Das Konzert war berĂĽhrend und zwingend: Die erste halbe Stunde lang. Throbbing Gristle schufen eine ganz eigenartige Atmosphäre, ein sphärisches Surren schallt mir durch das Ohr, doch als sie die Spannung nicht und nicht einlösen wollten, da, ja, da erschlaffte auch mein Interesse. Ein wunderschönes Vorspiel ohne Höhepunkt: The Endless Not, Throbbing Gristle: das heißt fĂĽr mich ab jetzt konsequente Verweigerung.

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Text
Nancy Darling

Veröffentlichung
08.05.2007

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