- Diese Veranstaltung hat bereits stattgefunden.
Nitsch und seine Musik | Hermann Nitsch zum 85. Geburtstag
31. Oktober 2023, 19:00
Albert Hosp, Moderation
Musikkapelle Zellerndorf, Blasmusik
Patrick Hahn, Dirigent
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
«die musik des o.m. theaters hat im schrei, im lärm, in extremen erregungszustand seine wurzeln und weitet sich zum orgelgedröhn, zur kosmischen sphärenmusik aus.»
Hermann Nitsch
Programm
ANTON WEBERN 1883–1945
Sechs Stücke für Orchester op. 6
RICHARD WAGNER 1813–1883
Vorspiel zur Oper «Tristan und Isolde» (Konzertfassung: Richard Wagner)
ALEXANDER SKRJABIN 1872–1915
«Le Poème de l‘Extase» op. 54
HERMANN NITSCH 1938–2022
Symphonie Nr. 9 «Die Ägyptische» (Aufführungsfassung eingerichtet von Peter Jan Marthé)
EINFÜHRUNG mit ALBERT HOSP
im Gläsernen Saal um 18.45 Uhr
Anlässlich des 85. Geburtstags des Universalkünstlers Hermann Nitsch stellt das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich am Dienstag, 31. Oktober 2023, unter der Leitung des jungen österreichischen Dirigenten Patrick Hahn und gemeinsam mit dem Ö1-Musikexperten Albert Hosp die 9. Sinfonie von Hermann Nitsch, «Die Ägyptische», den Werken seiner musikalischen Vorbilder im Großen Saal des Musikvereins gegenüber. Erstmals wird ein musikalisches Werk von Nitsch im Musikverein aufgeführt, ein lang gehegter Wunsch des Künstlers, der nun posthum in Erfüllung geht.
Hermann Nitsch, der im April 2022 gestorben ist, war nicht nur weltberühmter Aktionist, Maler, Philosoph und Zeichner: Er war auch Komponist. Schon in den 1960er-Jahren spielte die Musik eine fundamentale Rolle in seinem Gesamtkunstwerk. Nitschs Kompositionen wurzeln im Schrei als vorsprachlichem Ausdruck dionysischer Ekstase. Weitere starke Einflüsse finden sich bei John Cage, Anton Webern, Richard Wagner und Alexander Skrjabin. Die Musik des «Orgien Mysterien Theater» hat für den Künstler in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Instrumentale Zusammensetzung, Dauer und Intensität der Kompositionen wurden ebenso wie die Handlungsabläufe der Aktionen in Form von Partituren akribisch auf Millimeterpapier festgehalten.
Die Musik von Nitsch
Das kompositorische Werk von Nitsch ist äußerst umfangreich und umfasst nicht nur Aktionsmusik, sondern auch Orchester-, Ensemble-, Harmonium-, Orgel- und Klavierwerke. Bisher blieb es von der Musikwissenschaft nahezu unbeachtet.
Schon früh wollte Nitsch Klänge in seine Aktionen einbeziehen, er fand dafür aber keine geeignete Musik. So erfand er eine graphische Notation auf Millimeterpapier, die sich perfekt zur Verwirklichung seiner amorphen Klangvorstellungen eignete. Zuerst begann Nitsch „primitive“ Klangereignisse (Schreichöre und Lärmorchester) in seine Aktionen einzubeziehen, liegt doch für ihn der Ursprung der Musik im Schrei und im Lärm.
Kein anderer als Nitsch selbst hätte die geeignete Musik für sein „Orgien Mysterien Theater“ komponieren können, die dem Geist seines dionysischen Gesamtkunstwerks entspricht. Mit seiner graphischen Notation bestimmt er meistens nur die Klangfarbe, die Dauer der ausgehaltenen Töne, die Lautstärke und die Dichte, keine weiteren Details.
Nitschs Musik ist nie bloß illustrativ oder funktionell, sondern stimulierend. Die Aktion aktiviert die Musik, die Musik intensiviert die Aktion. So entstand eine aus weiträumigen Klangflächen bestehende Musik mit überwältigender Wirkung auf die Zuhörerschaft. Die tragisch wollüstige Musik Nitschs ist vor allem eine Klangfarbenmusik – eine Musik von großen Farbenkontrasten, vom Dunkelsten zum Hellsten, vom Dichtesten zum Transparentesten, eine Musik, die Extremzustände vermittelt.
Die typische Besetzung für Nitschs Aktionsmusik: Trillerpfeifen, Ratschen, Flöten, Schlaginstrumente und Bläsergruppen. Dazu wird an bestimmten Momenten fröhliche Volksmusik (Ländler, Schrammelmusik, Schuhplattler et cetera) eingebaut. Ein ausgehaltener Orgelton schwebt ständig durch den Raum.
„Meine Musik verwendet lange, langgezogene Klänge, sie verwendet Tonblöcke, Anordnungen von Clustern, dröhnende Strukturen von Tutti, tonal und dissonant, bis hin zu Überlagerungen von Geräuschen. Alles, was mein Orchester mit seinen Streichern, Holzbläsern, Blechblasinstrumenten und Synthesizern leisten kann.“
Die Ägyptische
2009 hat Nitsch seine neunte Sinfonie „Die Ägyptische“ komponiert – eine Sinfonie der Ekstase. Sie ist traditionell in vier Sätze geteilt. Diese Sinfonie ist paradigmatisch für Nitschs kompositorisches Gesamtschaffen.
Sie beginnt mit dem charakteristischen ausgehaltenen Orgelton, mit einem Quintintervall. Dann findet plötzlich eine überwältigende Explosion statt: der Beginn der Schöpfung – ein Urknall. Der Knall dehnt sich aus, er entfaltet sich bis zum exzessiven Allgedröhn. Danach folgen laute und dichte Klangblöcke. Dieser plötzliche Wechsel von Klangsituationen ist typisch für Nitsch.
Der zweite Satz der Sinfonie ist ein „oft ins Dämonische ausladendes Scherzo“. Hier setzt eine Volksmelodie jäh und unerwartet ein in Form eines Kanons, der allmählich immer freier und chaotischer wird. Dieser Kontrast ist für die Musik Nitschs ebenso kennzeichnend wie die Polyphonie von verschiedenen Räumen und Zeiten. Die Überlagerung von äußerst dissonantem tragischem Lärm und fröhlicher Volksmusik gilt als Versinnbildlichung der Koexistenz der Gegensätze im Sein.
Der dritte Satz ist ein meditatives Adagio. Nitschs Musik kennt auch die meditative Ruhe des Adagios als Beschwörung der Sphärenharmonie.
Der vierte Satz ist ein „großangelegtes positives oder tragisches Finale“. Er endet mit einem glorreichen C-Dur-Akkord, der über Minuten dauert.
Im zwanzigsten Jahrhundert sind viele Komponisten dazu übergegangen, nicht mit Tönen, sondern mit dem Klang selbst zu komponieren. Das ist auch bei Hermann Nitsch der Fall. Seine Musik ist keine Musik mit Noten, sondern eine „klangbasierte Musik“.
Hermann Nitsch
wurde am 29. August 1938 in Wien geboren und starb am 18. April 2022 in Mistelbach. Er zählte zu den bedeutendsten Vertretern des Wiener Aktionismus und war einer der vielseitigsten zeitgenössischen Künstler: Aktionist, Maler, Grafiker, Komponist (Sinfonien, Orgelkonzerte), Bühnenbildner. Nitsch galt als Enfant terrible der österreichischen Kunstszene, da er Tierkörper, Blut und Teile geschlachteter Tiere für seine Kunst nutzte. Sein Gesamtkunstwerk, das «Orgien Mysterien Theater», umfasst das breite Spektrum seiner Kunst, in dem es den Einsatz aller fünf Sinne erfordert – das Tragische führt zur Auseinandersetzung mit Fleisch, Blut und Eingeweiden.
«meine arbeit soll eine schule des lebens, der wahrnehmung und der empfindung sein und mit allen fünf sinnen erfahren werden.»
Der mehrfach ausgezeichnete Künstler lebte und arbeitete auf seinem Schloss in Prinzendorf an der Zaya, Niederösterreich, sowie in Asolo, Italien. Seine Werke sind in zwei monografischen Museen in Mistelbach und Neapel, in der Nitsch Foundation in Wien sowie in den renommiertesten internationalen Museen und Galerien ausgestellt. Im Jahr 2022 übernahm die Pace Gallery mit Hauptsitz in New York die Vertretung von Hermann Nitsch.
Eine detaillierte Biografie sowie eine Liste aller Aktionen, Malaktionen, konzertanten Aufführungen und mehr finden Sie auf www.nitsch.org
Patrick Hahn
Der Dirigent, Komponist und Pianist Patrick Hahn wurde 1995 in Graz geboren und hat sich als einer der vielseitigsten Künstler seiner Generation etabliert. Die internationale Presse feiert ihn als »den Shootingstar unter den Dirigenten«. Seit der Spielzeit 2021/22 ist er Generalmusikdirektor der Wuppertaler Bühnen und Sinfonieorchester GmbH und damit jüngster GMD im deutschsprachigen Raum. Als Dirigent verbindet ihn die regelmäßige Zusammenarbeit mit Orchestern wie den Münchner Philharmonikern, den Klangkörpern des Bayerischen Rundfunks und den Wiener Symphonikern sowie mit Festivals und Opernhäusern in ganz Europa und Asien. Auch das Tonkünstler-Orchester hat er schon mehrfach geleitet. Darüber hinaus ist er Principal Guest Conductor und Artistic Advisor des Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra sowie Erster Gastdirigent des Münchner Rundfunkorchesters.
Ausführliche Informationen: www.patrick-hahn.com
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
Das Tonkünstler-Orchester mit seinen Residenzen im Musikverein Wien, im Festspielhaus St. Pölten und in Grafenegg ist einer der größten und wichtigsten musikalischen Botschafter Österreichs. Eine fast 75-jährige Tradition verbindet das Orchester mit den Sonntagnachmittags-Konzerten im Musikverein Wien. Das Festspielhaus St. Pölten wurde von den Tonkünstlern im Jahr 1997 eröffnet, auch in Grafenegg treten sie als Residenzorchester auf. Den Kernbereich der künstlerischen Arbeit bildet das traditionelle Orchesterrepertoire von der Klassik über die Romantik bis zur Musik des 20. Jahrhunderts. Chefdirigent ist seit der Saison 15–16 Yutaka Sado; Fabien Gabel folgt ihm 2025 nach. Eine umfangreiche CD-Edition im hauseigenen Tonträgerlabel und Tourneen, zuletzt nach Japan, Großbritannien und Deutschland, bezeugen die überregionale Präsenz des Orchesters.
Ausführliche Orchesterbiografie und Informationen: www.tonkuenstler.at
Tickets von € 29,- bis 68,- erhältlich unter: https://shop.tonkuenstler.at/webshop/webticket/seatmap?eventId=55576
https://tickets.musikverein.at/SelectSeats?ret=2&e=34862
Eine gemeinsame Veranstaltung von nitsch museum und Tonkünstler-Orchester Niederösterreich in Kooperation mit der Nitsch Foundation
Hast du einen Terminvorschlag? Schreib einfach eine Nachricht mit Datum, Ort und Inhaltsbeschreibung an termine@skug.at.