INTERNATIONAL MUSIC (d)
18. Dezember, 20:00
„Wir heißen dich willkommen, Endless Rüttenscheid“, singen International Music im Titelstück zu ihrem dritten Studio-Album, das am 06. September 2024 erscheint. Der Albumtitel „Endless Rüttenscheid“ dürfte für Fans jenseits des deutschen Sprachraums eine echte Herausforderung sein. „Endless“, klar, aber dann: Ein rollendes R gefolgt von einem Umlaut, ein Doppeltes T und am Ende ein hart ausgesprochenes D: Rüttenscheid. So heißt der florierende Essener Stadtteil mitten in Europa, der im Ruhrgebiet für lukratives Wachstum, aber eben auch für die allseits bekannte Gentrifizierungs-Problematik steht. Aber wie bei International Music üblich, bilden solche gesellschaftspolitischen Sujets hauptsächlich Räume, um sich darin zu verlieben, zu träumen und sich wieder zu trennen, bloß um sich eines Tages wiederzusehen. „Herz ist Trumpf“, um an dieser Stelle einfach mal die Kultband TRIO zu zitieren, die mit International Music nicht nur die Besetzungsgröße gemein haben.
Pedro Goncalves Crescenti, Peter Rubel und Joel Roters haben seit ihrem Debüt-Album „Die besten
Jahre“ (2018) konsequent einen eigenen, so farbenfrohen wie minimalistischen Rock-Sound entwickelt, der zwischen 60ies Beat & Boogie, 70ies Krautrock, 80ies New Wave und 90ies Shoegaze und Postrock oszilliert. Also so ziemlich allem, was der Mensch in der Formation Bass, Schlagzeug und Gitarre zusammen an freudiger Musik herstellen kann.
Jahre“ (2018) konsequent einen eigenen, so farbenfrohen wie minimalistischen Rock-Sound entwickelt, der zwischen 60ies Beat & Boogie, 70ies Krautrock, 80ies New Wave und 90ies Shoegaze und Postrock oszilliert. Also so ziemlich allem, was der Mensch in der Formation Bass, Schlagzeug und Gitarre zusammen an freudiger Musik herstellen kann.
„Hier nur Kraut und Rüben, drüben blühen Blüten“ heißt es im Opener „Kraut“, der genauso nach CAN wie CANNED HEAT klingt. Und das ist das Faszinierende an dieser Band: Die besagten Dekaden, Genres und Sounds bilden im International Music-Kosmos im Grunde layers, die wie bei einer Doppelbelichtung übereinandergeschichtet werden und am Ende noch einmal durch den VHS- oder Super-8-Recorder laufen. Die drei Wahl-Essener entwickeln mit großer Faszination für die unterschiedlichen Techniken und Gerätschaften aus mehr als 50 Jahren Rock- und Popgeschichte die eigene Musik stets weiter. Und die scheint bei International Music im wahrsten Sinne „Endless“.
Getragen werden diese Songs vom unverkennbaren Harmoniegesang von Peter Rubel & Pedro Goncalves Crescenti, die bekanntlich auch als The Düsseldorf Düsterboys ihr Unwesen treiben. Auf „Endless Rüttenscheid“ treten sie erstmals aus ihren Hallräumen an die trockene Oberfläche und verleihen ihren Stimmen und dem Text somit eine neue Nähe.
Wenn es auf dem Album so etwas wie einen inhaltlichen roten Faden gibt, dann die sogenannte „Feste Beziehung“ und die damit verbundenen Fragen: Ab wann ist eine Beziehung überhaupt „fest“ und wie lange bleibt sie so, bloß weil sie gerade fest ist? Können wir den Zustand der Liebe irgendwie konservieren? Können wir an der Liebe, dem großen empfundenen Glück, festhalten, ohne sie am Ende mit all unseren Ängsten und Zwängen wieder kaputt zu machen? Und können wir das überhaupt wollen?
„Hier ist ein guter Ort zu leben, hier ist keiner, der lang bleibt, eine Zwischenstation, die lange war und länger wird, von mir zu Dir, von hier zu Dir“, heißt es etwa in „Guter Ort“, einer Hymne für alle Liebenden nicht nur in Fernbeziehungen.
„Karma ist Karma, come on enjoy only yourself, ist doch kein Drama, haben wir Zeit oder wird es schon hell“, fragen sie an anderer Stelle in „Karma Karma“, in dem International Music für einen Moment wie ihre französischen Nachbarn von der Band PHOENIX klingen.
„Karma ist Karma, come on enjoy only yourself, ist doch kein Drama, haben wir Zeit oder wird es schon hell“, fragen sie an anderer Stelle in „Karma Karma“, in dem International Music für einen Moment wie ihre französischen Nachbarn von der Band PHOENIX klingen.
Anspannung und Release, Denken und Fühlen, International Musics Texte sind so etwas wie eine quantendynamische Superposition, ein Spannungsfeld, aus dem sich je nach Lebens- und Gefühlslage neue Fragen und Antworten ergeben. „Heute morgen oder nächstes Jahr“ eben, wie in „Liebesformular“ postuliert. Das Stück ist zugleich die erste Single – und liefert so etwas wie das Selbstverständnis von Rubel, Roters und Goncalves Crescenti: „Wir machen timeless melancholic music“! Und tatsächlich steckt in Roters stoischem Schlagzeug und den sich umspielenden Bass- und Gitarrenmelodien Rubels und Goncalves Crescentis eine feine Melancholie – die International Music nach Belieben durch subtilen Humor zu konterkarieren oder eben zu verstärken wissen. Eine einzigartige Mischung, die Olaf O.P.A.L.s Produktion in ein zeitloses Gewand gepackt hat.
„Du leitest geschickt, mich fesselt Dein Blick, Du bindest mich an, ziehe ich mich zurück“ singen sie im Lovesong „Im Sommer bin ich dein König“, mit dem International Music eine echte Power-Ballade im Gepäck haben. Aber ja, der Weg zum Glück bleibt ein steiniger, zu dem sie mit „Kieselwege“ auch schon wieder eine packende Hymne liefern.
Die professionelle Provinz-Fotografie auf dem Cover des Albums, die aussieht wie ein Portrait der Enkelkinder auf dem Kaminsims der stolzen Oma Gerda, weiß um die Vergangenheit und eine mögliche Zukunft. Und somit ist das Bild sinnigerweise auch kein flotter Selfie-Handy-Schnappschuss, sondern eine aufwändig-inszenierte Studio-Fotografie mit den technischen Mitteln unserer Großeltern. Der Chor unserer Ahnen ragt schließlich in all unsere Lebensbereiche hinein. Sie grüßen, erinnern, inspirieren und mahnen uns täglich. Immer und überall.
Am Ende stellen wir uns die Frage nach dem Unterschied: also welcher Lebensentwurf in unseren Kulturkreisen überhaupt möglich ist und fundamental anders sein kann! Egal, ob in Berlin-Prenzlauer Berg, New York- Williamsburg oder Essen-Rüttenscheid. Die wirklich spannenden Dinge passieren doch meist ungeplant im Moment, manchmal auf schwer zu durchblickenden Umwegen, und da war doch gerade die Rockmusik schon immer ein großer Zen-buddhistischer Lehrmeister. Oder um an dieser Stelle noch ein letztes Mal International Music zu zitieren: „Und wieder gibt es kein Prinzip, wenn sich der Augenblick verschiebt, denn wir heben doch nur auf, was uns gefällt, was vor uns liegt, was uns umgibt“.
Und wenn wir schon den Moment konservieren müssen, dann bitte so wie im Boogie-Twister „International Heat“: „Es kann nur eine Liebe geben, für immer auf der Wiese leben“.
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