»High Fidelity« © YouTube
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Das Jahr 2017 in Listen

2017 endet und plötzlich diese Ûbersicht: Die skug-Redaktion hat mitgeschrieben, was hörens-, sehens- und bedenkenswert war.

skug-LeserInnen wissen bereits, für denkende Menschen gibt keine »Charts« mehr. Die waren immer schon frisiert, aber heute sind sie vollkommen frei erfunden. »Verkaufszahlen« von abgenudelten Schupastars wie Jay-Z, Taylor Swift oder U2 können kaum mehr seriös ermittelt werden und sind sicherlich viel, viel geringer als vorgegaukelt. Die immer schon weitgehend unerhebliche Quantität fällt heute als Kriterium flach und Qualität in Listen? Nee, geht eigentlich nicht. Da wir aber in der dunklen Jahreszeit alle das liebliche Hundeblicklächeln von John Cusack in unseren Herzen tragen und uns gern daran erinnern, wie süß er war, als er in »High Fidelity« den Besitzer eines Plattenladens mimte, der versuchte sein Leben mittels Bestenlisten zu sortieren (Spoiler: es gelang nicht), machen wir es dieses Jahr auch wieder. Hier also von unseren skug-AutorInnen fleißig zusammengetragene Listen mit Alben, Shows, Songs, Videos, Büchern oder sonstigem, das in seiner knapp kommentierten Auflistung einen kleinen Einblick geben mag in das, was sich 2017 tat.

Walter Pontis‘ Fave Albums/Songs/Live Acts/Books 2017

Rock’n’roll-Utopia is haunting me: »Was brauch ma des?« hallt noch immer der hinterwäldlerische Tenor auf die von mir im Rahmen der Musikmesse W.I.E.N. Sounds Fair kuratierten Symposien »Pop/Rock Utopia« (1995) und »Majors vs. Alternatives« (1996) nach. Nun erfährt Utopie, spät aber doch, seit einigen Jahren eine Renaissance. Cool.

Books: Drei Bücher meiner einstigen PanelistInnen (Ann Powers, Lawrence Grossberg, Everett True) zählen zu meinen fave Lektüren. Die Zeit der Hexenverbrennung ist noch lange nicht vorbei; die gesamte Medienwelt zeichnet mitverantwortlich (siehe: »Lügen die Medien?«). Die Marginalisierung der Musikkritik (siehe: »testcard #25: Kritik: Beiträge zur Popgeschichte«) ist zu einem Gutteil ihrer Unglaubwürdigkeit geschuldet. Politische Parteien einen Hauch links der Mitte scheinen nichts daraus lernen zu wollen/können. Anti-Haltung und Angstmache bewahrten nicht vor Trump, Rechtsruck sowie Kurz. Welch Jammer. Protest. Aber wo sind nun endlich (die) Alternativen?

Albums:
Selbst für Björk steht »Utopia« heuer zentral. Sounds und Dispositionen à la Chino Amobi oder Gazelle Twin frequentieren wohl erst in ferner Zukunft die knorke Popwelt.

Live Acts: Das diesjährige Nick-Cave-Konzert wollte ich mir erst sparen. Als ich via YouTube tolle Live-Mitschnitte von der aktuellen Tour sah, war es für ein Ticket in der Wiener Stadthalle leider zu spät; aber was sollʼs, unser liebster Prediger beehrt uns bestimmt bald wieder. Und so auch die herzerfrischenden Ramonas (siehe Termin). Groovendster Gig: DJ Lag. Elysia Crampton sowie Holly Herndon repräsentieren den futuristischen Puls der Zeit wohl am effizientesten. Schade nur, dass von diesen Festival-Gigs keine Mitschnitte online präsent sind. Wake up, yʼall!

Princess_Nokia_Cover_zu_Pontis.jpgPontis‘ Fave Albums 2017
01 Nadine Shah: »Holiday Destination« (1965 Records)
02 Chino Amobi: »Paradiso« (NON Worldwide/UNO NYC)
03 Gazelle Twin: »Kingdom Come« (Anti-Ghost Moon Ray)
04 Tzusing: 東方不敗 (L.I.E.S.)
05 Princess Nokia: »1992 Deluxe« (Rough Trade)
06 LA Witch: »LA Witch« (Suicide Squeeze Records)
07 Perc: »Bitter Music« (Perc Trax)
08 Kaitlyn Aurelia Smith: »The Kid« (Western Vinyl)
09 Phew: »Light Sleep« (Mesh-Key Records)
10 Bill Orcutt: »Bill Orcutt« (Palilalia Records)
11 EMA: »Exile In The Outer Ring« (City Slang Records)
12 Lee Gamble: »Mnestic Pressure« (Hyperdub)
13 Björk: »Utopia« (Embassy of Music)
14 Sells His Record Collection: »Japan Blues« (Japan Blues)
15 Kendrik Lamar: »Damn« (Universal Music)
15 Gnod: »Just Say No To The Psycho Right-Wing Capitalist Fascist Industrial Death Machine« (Rocket Recordings)

jrbq1.jpgPontis‘ Fave Songs 2017
01 LA Witch: »Kill My Baby Tonight« (Live at Desert Daze in Joshua Tree, CA 2017) »Youtube
02 Perc: »Look What Your Love Has Done To Me« (Vocals: Gazelle Twin)
03 Nadine Shah: »How You Gonna Sleep Tonight«
04 Chino Amobi & Elysia Crampton: »Children of Hell«
05 Arca: »Reverie«
06 Princess Nokia: »G.O.A.T.«
07 Klitclique: »M«
08 St. Vincent: »Los Ageless«
09 Gazelle Twin: »I Consume Only«
10 The Black Angels: »Currency«
11 Feist: »Pleasure«/»Century«
12 EMA: »Breathalyzer«

Feist_Cover_zu_Pontis_Fave_Songs.jpgPontis‘ Fave Live Acts 2017
01 Holly Herndon: 24.05. Hyperreality Wien
01 Elysia Crampton: 28.04. Donaufestival Krems
03 Diamanda Galás: 14.06. Porgy & Bess Wien
04 DJ Lag: 29.04. Donaufestival Krems
05 Raime: 24.05. Hyperreality Wien
06 Gnod: 30.04. Donaufestival Krems
07 Sote: 28.04. Donaufestival Krems
08 Black Rebel Motorcycle Club: 03.12. Arena Wien
09 Manthe Ribane & Okzharp: 27.05. Hyperreality Wien
10 Tomasa del Real × DJ Rip Txny: 27.05. Hyperreality Wien
11 Stone Sour: 12.12. Gasometer Wien
12 Dat Adam: 14.04. Arena Wien
13 Bilderbuch: 18.05. Open Air Arena Wien
00 Nick Cave: 01.11. Stadthalle Wien; upcoming: 28.06.2018, Burg Clam
00 The Ramonas: 02.11. Chelsea Wien; upcoming: 13.05.2018, Chelsea Wien

Pontis‘ Twelve Books 2017
jrbq1.jpg01 Ann Powers: »Good Booty« (Dey Street Books, 2017)
02 Jens Wernicke: »Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung« (Westend, 2017)
03 Sahra Wagenknecht: »Reichtum ohne Gier: Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten« (Campus; 2016)
04 Lawrence Grossberg: »Cultural Studies in the Future Tense« (Duke University Press, 2010); Deutsch: Lawrence Grossberg: »Zukunftsform: Cultural Studies 10« (Löcker Verlag, 2012)
05 Alexander Neupert-Doppler: »Utopie: Vom Roman zur Denkfigur« (Schmetterling Stuttgart, 2015)
06 Bruce Springsteen: »Born To Run« (Englisch: Simon & Schuster, 2016; Deutsch: Heyne, 2016)
07 Charles Bukowski: »Absence of the Hero« (City Lights, 2010)
08 Everett True: »Nirvana – The True Story« (Omnibus Press, 2006)
09 Thomas Bernhard: »Elisabeth II.« (Suhrkamp, 1987)
10 Max Frisch: »Graf Öderland« (Suhrkamp, 1951)
11 Hg. Jonas Engelmann, Holger Adam u. a. »testcard #25: Kritik: Beiträge zur Popgeschichte« (Testcard, 2017)
12 Nina Horaczek & Walter Ötsch: »Populismus für Anfänger« (Westend, 2017)
00 Upcoming: Lawrence Grossberg »Under the Cover of Chaos: Trump and the Battle for the American Right« (Pluto Press, Jan 20, 2018)

Xavier Plus‘ Bestenliste des Jahres 2017

Im Gegensatz zur politischen Tendenz war 2017 ein sehr gutes Jahr für Diversität und Durchmischung: Indie- und Alt-Country-Meister Ryan Adams legt mit »Prisoner« eine seiner dramatischsten und schönsten Platten vor, der Nino aus Wien zeigt sich auf »Wach« erstmals weitgehend reminiszierend, Thundercat schließt auf »Drunk« einmal mehr (zumindest auf einigen Songs) den Graben zwischen Jazz und poppigen Einflüssen. Am anderen Ende des sonorischen Spektrums steht beispielsweise Kamasi Washingtons »Harmony of Difference«, das den schwierigen Job hat, der Nachfolger des 2013 erschienen 3-Disc-Opus »The Epic« zu sein. Aber diese Aufgabe hat der US-Saxophonist mit dem einfachen Prinzip des Kontrastes gelöst: »Harmony of Difference« ist ganz bewusst kein Versuch, ein weiteres Epos dieser Größe zu erschaffen, sondern ein wunderbar gestalteter Kontrapunkt. jrbq1.jpgDer Sampler »Fraufeld Vol. 1« enthält Musik von Künstlerinnen aus ganz Österreich und bietet so eine breite Werkschau der heimischen Szene. Trio-Jazz vom Feinsten gibt es auf dem neuen Album »Uptown, Downtown« von Bill Charlap und der ersten wirklich gelungenen posthumen Veröffentlichung des ikonischen Bill Evans.

Der Nino aus Wien: »Wach«
Charles Lloyd: »Passin Thru«
Nai Palm: »Needle Paw«
N-qia: »Fantastica«
Jack DeJohnette, Larry Grenadier, John Medeski, John Scofield: »Hudson«
Kamasi Washington: »Harmony of Difference«
Various Artists: »Freifeld Vol. 1.«
Bill Charlap Trio: »Uptown, Downtown«
Bill Evans: »Some Other Time«
Thundercat: »Drunk«
Ryan Adams: »Prisoner«

Hans Grausgrubers Charts 2017

01 Curtis Harding: »Face Your Fear« (Anti)
Meine Nummer 1, weil ich dieses Jahr keinen öfter hörte, als diesen Soul-Newcomer.

02 Sharon Jones & The Dap-Kings: »Soul of a Woman« (Daptone/Groove Attack)
Nicht nur, weil es das letzte, das posthume Album der unvergesslichen Sharon Jones ist.

03 The Andy Tolman Cartel: »Cypher« (Freestyle)
Wie schön, dass solche Rhythmus- & Bläser-Ensembles nicht aus der Mode kommen – dem UK sei’s gedankt.

jrbq1.jpg04 D/troit: »Soul Sound System« (Believe Digital/Crunchy Frog/Soul Food)
Ein großes Shout-out für die Kopenhagener für ihre Verve, ihren Groove und die Freude, die sie Soul-Fans bereiten.

05 Orchestra Baobab: »Tribute to Ndiouga Dieng« (World Circuit/Lotus)
Wer meint, alles sei wie gehabt bei diesem senegalesischen Ensemble, irrt: Vieles ist neu, wenn auch tief in der Tradition verhaftet.

06 Zara McFarlane: »Arise« (Brownswood/Rough Trade)
Brit-Jazz, neo-soulig, funkig mit einem Touch Latin, Brasil und Jamaika – und v. a. eine fantastische junge Sängerin.

07 Various Artists: »Soul Togetherness 2017« (Expansion)
Auch wenn manch einer meint, das wäre Soul fürs Schickimicki-Publikum: Diese Compilation verkörpert seit Jahren die »moderne« Soul-Revue par excellence!

08 Various Artists: »Boombox 2« (Soul Jazz Records/Trost)
Schlicht und ergreifend die beste HipHop-Compilation, die ich kenne. Und mit lauter raren Tracks.

09 Leroy Hutson: »Anthology 1972-1984« (Acid Jazz)
Neunzehn der größten Songs von einem der Größten des Soul – und absolut schlüssig kompiliert.

10 Split Decision Band: »Split Decision« (Now-Then)
Zum Glück gibt es einige unermüdliche Label-Crews, die uns all jene, die trotz bester Musik nie »erfolgreich« waren, heute, viele Jahre später, zu Gehör bringen. In diesem Fall Frühachtziger Soul-Funk & Boogie.

Die 10 besten Alben 2017 von Markus Stegmayr

jrbq1.jpg01 Ulver: »The Assassination of Julius Caesar« (House of Mythology)
Die äußerst genreflexiblen Norweger Ulver bekennen sich mit diesem Album erstmalig in ihrer langen Bandgeschichte schamlos zu tanzbarer Popmusik mit dunklem Anstrich. Das Ergebnis ist fulminant und wird Martin Gore schlaflose Nächte bereiten.

02 Igorrr: »Savage Sinusoid« (Metal Blade Records)
Für den französischen Produzenten Gautier Serre sind Schubladen und Genregrenzen nur Schall und Rauch. Breakbeat trifft auf schwarzmetallisches Tremolo-Picking und vereint sich mit melancholischen Folkloreandeutungen, die auf dem Akkordeon zelebriert werden. Was in anderen Händen ein beliebiger Stilmischmasch sein könnte, ist bei Igorrr die gelungene Freilegung des emotionalen Gehaltes extremer Hartwurstmusik mit den Mittel des Humors und der Entdeckerlust.

03 Kelela: »Take Me Apart« (Warp Records)
Bei dem Debütalbum von Kelela gibt es zukunftsweisenden Alternative-R’n’B zu hören, der sich mit den Qualitäten von »A Seat at the Table« aus dem Hause Solange messen kann. Kelela ist aber weniger agitatorisch und wenn es um Text und Musik geht eine ganze Ecke »sexier«. Damit bezieht sie bereitwillig den »sanften« Raum, den Solange mit ihrem Ûberalbum geöffnet hat und bespielt diesen mit grandiosen Beats und ebensolchen Melodien.

04 Becca Stevens: »Regina« (GroundUP)
Die New Yorker Songwriterin widmet sich auf ihrem neuen Album, der Titel legt es schon nahe, den Königinnen. Dass sie damit nicht nur historische und tatsächliche Königinnen meint, versteht sich von selbst. Musikalisch findet sie für dieses kühne Vorhaben zu harmonisch reichhaltigen Liedern, die den Jazz genauso absorbiert haben wie legendäre Popsongs. »Regina« klingt wie ein Album gewordener Meisterklasse-Kurs in zeitgenössischem Songwriting ohne akademisch verkopft zu wirken.

05 The Hirsch Effekt: »Eskapist« (Long Branch Records)
Was jetzt? Hamburger Schule trifft auf progressiven Metal? Womöglich. Doch die Melange schmeckt und haut einen schlicht vom Hocker. In Sachen Riffs macht der Band aus Hannover niemand was vor und die Tracks sind, trotz teilweiser Ûberlänge, konzise und meisterlisch arrangiert. Das ist komplexe Hassmusik für offene Ohren.

06 Barbara Hannigan: »Crazy Girl Crazy« (Alpha Classics)
Dieser Frau gelingt offenbar alles. Nicht genug damit, dass sie eine brillante Interpretin von klassischer und zeitgenössischer Musik gleichermaßen ist, hat sie vor wenigen Jahren auch noch erfolgreich mit dem Dirigieren begonnen. Dass sie zum Teil singt und dirigiert ist ein Novum. Auf dem vorliegenden Dirigat-Gesang-Debütalbum wildert sie im Bereich der avantgardistischen Stimmexperimente, bei dezent neutönenden Klassikern und im weiten Feld des Jazz.

07 Julien Baker: »Turn Out The Lights« (Matador Records)
Die 1995 geborene Songwriterin Julien Baker serviert auf ihrem zweiten Soloalbum Musik für unglückliche und hochsensible Zuhausebleiber. In diesem Zusammenhang sind ihr einige der besten Post-Emo-Folksongs der letzten Jahre gelungen. Selten hat man so gerne und bereitwillig beim Musikhören geweint und zuvor bereits lange geplante Treffen mit Freunden abgesagt.

08 Björk: »Utopia« (Embassy of Music)
Björk halluziniert auf »Utopia« von einem Matriarchat im Irgendwo. Um dieses zu vertonen, hat sie ein 12-köpfiges Flötenorchester gegründet, natürlich nur mit Frauen besetzt. Einzig der männliche Produzent Arca hatte Zutritt zu dieser Weiberwirtschaft. Das Zusammentreffen von Björk und Arca war auch schon beim Vorgängeralbum ein absoluter Glücksgriff. »Utopia« ist eines der besten Björk-Alben der letzten 20 Jahre geworden.

09 5K HD: »And To In A« (Seayou Records)
5K HD sind dem Wesen nach Kompost 3 und Mira Lu Kovacs. Doch das Ganze ist mehr als die Summe der einzelnen Teile. Mira Lu Kovacs, ansonsten vor allem bekannt mit Schmieds Puls, lässt sich erstmals voll auf Stimmexperimente und Sounds ein, während Kompost 3 so songdienlich wie kaum sonst agieren. Insgesamt ergibt diese Kombination eines der interessantesten Alben einer österreichischen Band seit gefühlt sehr langer Zeit.

10 Thundercat: »Drunk« (Brainfeeder)
Nein, hier geht es nicht ums Saufen. Thundercat hat vielmehr die Fülle und Ûberfülle unserer Gegenwart am Blick, vor der man eigentlich nur torkelnd kapitulieren kann. Er entscheidet sich aber für einen anderen Weg: Man kann es schaffen, damit umzugehen, wenn man alles zugleich macht. Soft-Rock trifft Prog-Funk, Jazz und HipHop sind stets als Grundhaltungen und rhythmische und harmonische Blaupausen präsent. Musikalisch virtuos und konzeptionell kühn stemmt die Donnerkatze unsere komplexe Gegenwart.

G. Bus Schweigers Jahrgang 2017: Was mir bleiben wird

jrbq1.jpgWilfried: »Gut Lack«
Mit seinem Sohn arbeitete der Hüne Wilfried fast bis zum Schluss an diesen grandiosen Songs. Nie wurde Menschlichkeit am Abgrund feiner und wahrer künstlerisch verarbeitet. Ich verneige mich tief vor diesem Werk.

Sparks: »Hippopotamus«
Ein Schlag ins Gesicht aller Suderer und Querulanten. Der ureigene Humor mit Herz der Sparks ist herzerfrischender und tanzbarer als jemals zuvor.

Christine Rösinger: »Lieder ohne Leiden«
Lieder zur Lage, voller Klarheit und ohne Selbstmitleid.

Son Of The Velvet Rat: »Dorado«
Die besten Songs von Georg Altziebler fanden mit Joe Henry den bestmöglichen Ausstatter und vollkommen zu Recht schlägt »Dorado« in der kalifornischen Wüste große Wellen. Die amerikanische Weite und das europäische Erbe bilden eine Ehe, die im Himmel geschlossen wurde. Im Frühjahr wieder live in heimischen Gefilden zu erleben.

Dan Auerbach: »Waiting On A Song«
Hoffnungslos rückwärtsgewandt ehrt die Hälfte der Black Keys ihre Helden und huldigt dem klassischen Popsong. Dabei geht sich sogar ein Solo für Duane Eddy aus

Chip Taylor: »A Song I Can Live With«
Eine weitere Großtat im Alterswerk des Songwriters. Der Schöpfer von »Wild Thing« hat viel erlebt und wird im Alter zum Meister der Reduktion. Ein paar leise Akkorde, ein paar fast schon geflüsterte Worte erschaffen eine Welt, wie es nur Lieder können.

Grandbrothers: »Open«
Ein selbst umgebautes Klavier und ein Rechner führen uns in Welten zwischen Philipp Glass, Hans Joachim Rodelius und Michael Rother. Instrumentale Reisen mit Hochspannung.

Yorkston/Thorne/Khan: »Neuk Wight Delhi All Stars«
Weltmusik driftet oft ins Allerlei und verkündet den kleinsten gemeinsamen Nenner. Hier wird das Beste aus drei Welten destilliert.

The Base: »Disco Bazaar«
Gerader tanzbarer Rock, der nie unterfordert. Mehr können Sie für sich nicht tun. Guten Abend.

Magnetic Fields: »50 Song Memoir«
Für jedes seiner Lebensjahre gönnte sich Stephen Merritt ein Lied und schrieb damit nicht nur seine Halbzeitmemoiren, sondern schenkte den Hörern auch eine Wagenladung schrulliger Songs zwischen Kinderliebe, Alltag und Abrechnung.

jrbq1.jpgJahrescharts 2017 von Stefan Koroschetz

01 Heather Leigh und Peter Brötzmann: »Sex Tape« (Trost)
02 Perfume Genius: »No Shape« (Matador/Beggars Group/Indigo)
03 Wilfried: »Gut Lack« (Monkey/Rough Trade)
04 Odds & Ends: Juchu!« (Odds & Ends)
05 Lordi: »Melodrama« (Universal)
06 Farce: »Ich sehe im vorbeifahrenden Auto den Unfall mitvorbeifahren, in Zeitlupe und rückwärts« (Metamatter Records)
07 Paul Plut: »Lieder vom Tanzen und Sterben« (Phonotron/Hoanzl)
08 Flotation Toy Warning: »The Machine That Made Us« (Tailtres Records/Hoanzl)
09 Juana Molina: »Halo« (Crammed Disc)
10 Laurel Halo: »Dust« (Hyperdub)

Mio Michaela Obernosterers Top of the Pops 2017

2017 in der Nussschale: Arca hat das bessere Björk-Album abgeliefert, Desperate Journalist die besseren Morrissey-Nummern. Cancer und Out Lines heben Collab-Projekte auf ein neues Niveau. Imposition Man (Review!) und Mala Herba mischen den heimischen Untergrund auf, Holograms und Lea Porcelain den internationalen. Protomartyr haben in jeder Hinsicht das Album des Jahres vorgelegt … und auf Xiu Xiu ist sowieso immer Verlass. In diesem Sinne: Cheers, 2017, bring it on, 2018!

jrb8.jpgMios Top 10 Albums 2017
Arca: »Arca«
Cancer: »Totem«
Desperate Journalist: »Grow Up«
Holograms: »Surrender«
Imposition Man: »Imposition Man«
Lea Porcelain: »Hymns Of The Night«
Mala Herba: »Mala Herba«
Out Lines: »Conflats«
Protomartyr: »Relatives In Descent«
Xiu Xiu: »Forget«

Mios Top 10 Tracks 2017
Adult.: »We Chase The Sound«
Bad Channels: »Exo«
Imposition Man: »Bodies«
Karger Traum: »Familienlied«
Mala Herba: »Rusalki«
Morrissey: »Spent The Day In Bed«
Out Lines: »Buried Guns«
Protomartyr: »A Private Understanding«
Qual: »Rape Me In The Parthenon«
Trupa Trupa: »To Me«

Mios Top 10 Concerts 2017
26.01. Tex (solo), Chelsea
12.03. Austra + Pixx, WUK
25.04. Xiu Xiu, Chelsea
24.05.-27.05. Holly Herndon et al, Hyperreality
16.06. Amanda Palmer + Edward Kas Pel, Porgy & Bess
27.07.-30.07. Mitra Mitra et al, Popfest
26.09. Whispering Sons + Villages, Bach
31.10. White Wine + Raumschiff Engelmayr, rhiz
07.11. A Place To Bury Strangers + Baby In Vain, Arena
21.11. Boy Harsher + Mala Herba, rhiz

DJ Martinees Top 10 2017

jrbq1.jpg Die ausgewählten Alben aus den unterschiedlichsten Kategorien entsprechen nicht unbedingt dem, was DJ Martinee öffentlich auflegen wird, beim skug.at Relaunch-Fest im Wiener fluc am 18. Jänner 2018.

Mika Vainio: »Reat« (RIP Mika)
Jonny Nash & Suzanne Kraft: »Passive Aggressive«
Tornado Wallace: »Lonely Planet«
Alessandro Cortini: »Avanti«
Fabiano Do Nascimento: »Tempo Dos Mestres«
The Necks: »Unfold«
Actress: »AZD«
Farbror Resande Mac: »Farbror Resande Mac«
Gaussian Curve: »The Distance«
Claro Intelecto: »Exhilarator«

Frank Jödickes zwölf Consumerism-Escapism-Videos 2017

Consumerism-Escapism geht so: Abschalten durch Einschalten. Es gibt diese Momente im Leben der EndverbraucherInnen, da lassen wir uns ermattet aufs Sofa sinken und verschwinden in einem dunklen Strom dumpfer Reize. Dafür wurde das Fernsehen erfunden und insbesondere das Musikvideo. (Oder war es umgekehrt? Das Gefühl wurde für die Fernseher produziert – schwer zu sagen.) Zumindest sind die kritischen Abwehrschilder erst einmal heruntergefahren, dann dürfen Bild und Ton einen strukturlosen Rausch verursachen. Leider sind bei solch tönendem Bilderschwulst die aufwendigen Maschinerien der »Großen« den IndiemacherInnen überlegen. Weshalb dies sicherlich eine für skug-Verhältnisse ganz ungewöhnlich klickreiche Liste ist. Und bitte mit Vorsicht genießen, Escapism kann gewisse Schäden verursachen.

Thundercat: »Them Changes«
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Obercooler 1970er Beat und ein Soundgrundgerüst á la Darondo untermalen die einfühlsam gefilmte Studie familiären Lebens im Hause der Schwertkämpfer. Alles sanft erheiternd, auch wenn der beteiligte Samurai leider seine Arme verliert.

Kikagaku Moyo: »Trilobites«
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Die Japaner beim gelungenen Versuch, das Innere einer Lava-Lampe zu vertonen. Krautrock aus Tokio ohne einen einzigen Piefkinesen.

Laetitia Sadier Source Ensemble: »Galactic Emergence«
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Kurt Cobain auf mellow und en français. Seltsames Zucken der Sängerin durch springende Kader und viele Video-Effekte, die sich mit ganz einfachen Mitteln auch zuhause nachmachen lassen.

Future: »Use Me«
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Einmal in der trap kommt kein Tönchen mehr sauber heraus, jeder Fitzel wird synkopiert und autogetuned. So wird es unter dem Helm von Darth Vader zugehen. Das Video liefert passgenau: Dunkler Highway, leerer Diner und eine permanente Atmosphäre der Bedrohung.

Bleachers: »Donʼt Take The Money«
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Jack Antonoff ist der Typ der hinter allem steckt, was gerade – meist zu Unrecht – wahnsinnig angesagt ist. Er beschenkt uns mit einem lässigen Video, das Selbsthass-Gewaltphantasien in schöne Bilder packt.

Don Bryant: »Don’t Give Up on Love«
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Der wunderbare Don Bryant stapft (vermutlich non-intentional) durch eigentümliche Horrorfilmszenerien, die rätselhaft seinen starken Blues untermauern. Accidental masterpiece.

Aimee Mann: »Goose Snow Cone«
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Schon mal das Bedürfnis gehabt, nach Hause zu kommen und einen aufmunternden Song von der Verbindungslehrerin auf der Gitarre vorgespielt zu bekommen? Geht jetzt, dank Aimee Mann. Hübsche Lebenshilfe für KatzenliebhaberInnen.

Beck: »Up All Night«
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Bei Beck singen verschiedene Münder die Lyrics mit, ein alter Schmäh der 2017 aufgewärmt durch unzählige Videos geistert. Wirklich netter Teenie-Traum, sich in eine Superheldin zu verwandeln und den Liebsten aus dem ganzen Partymüll zu befreien. Alles sehr lieb, warum ist der Knabe nur bei Scientology gelandet?

Stormzy: »Gang Signs & Prayer«
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Stormzy beschert hektische Gänsehaut, Bild und Ton, alles wirkt subkutan. Großangriff auf tiefliegende Gefühlsschichten. Und was ist das mit Stormzys Stimme? Wird er gleich weinen? In ihr scheint ein dauerndes Schluchzen versteckt, das Spannung aufnötigt. Filmerzählung über 15 Minuten, mit gespielten Szenen – wie das jetzt so üblich wird in den innovativen Gefilden des Videodrehs.

+ Stormzy: »Blinded by Your Grace Pt.2 ft. MNEK«
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Ausnahmsweise gleich zwei von Stormzy, weil der sich in einer Karrierephase befindet, in der er offenbar nix falsch machen kann. Hier mit Black-Jesus-Spread-the Gospel-Pathos. Manipulativ? Äh – ja. Aber da predigt wohl der Rapper der Stunde.

Imagine Dragons: »Thunder«
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Wir danken den Imagine Dragons dafür, dass sie uns mit ihrer, ein bisschen öden, Nummer Einblick gewähren in den Dubaier Finanzdistrikt. Wie nicht anders zu erwarten, leben dort Außerirdische mit sehr flexiblen Gliedmaßen, die sich optimal an die Bedingungen des Finanzkapitals anpassen. Solche KollegInnen wünscht man niemandem.

Zugabe – Childish Gambino: »3005«
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»And if I lose my mental, just hold my hand«. Stimmt schon Mr. Glover, aber echt jetzt, wie habt ihr das mit dem Teddybären gemacht? Ich mein – ist der echt oder was, der bewegt sich ja von selbst.

»MALMOE«-Liste

Big_Thief_Cover zu MALMOE_1.jpgUnsere hoch geschätzten KollegInnen von »MALMOE« kamen auf die untenstehende Liste. Die Erklärungen gibt es hier:  oder ausgedruckt in der neuen »MALMOE 81«.

Big Thief: »Capacity« (Saddle Creek)
Bruch: »The Lottery« (Cut Surface)
Chelsea Wolfe: »Hiss Spun« (Sargent House)
Escape-ism: »Introduction to Escape-ism« (Merge Records)
Funkadelic: »Reworked by Detroiters« (Ace Records)
Kelly Lee Owens: »Kelly Lee Owens« (Smalltown Supersound/Rough Trade)
Priests: »Nothing Feels Natural« (Sister Polygon Records)
Шaпκa (Schapka): »мы пѬопагaнда – Wir sind Propaganda« (Unrecords)
Varicella Zoster/unable to fully embrace this happiness: »schlagzeilen vom rande der erkennbaren wirklichkeit« (Split LP)
Steven Wilson: »To the Bone« (Caroline International)

Ein Dutzend Reviews mit Traumnoten von Alfred Pranzl

Eigentlich ist der Rang nicht wichtig, eher handelt es sich um Themenblöcke. Voran befinden sich mit Jlin und Ziúr Elektronikmusikproduzentinnen, die mit perkussivem Sample-Stretching atemraubendste Sounds erschaffen. Darauf folgt schwermütiger Dreampop-Shoegaze-Dancefloor von Kedr Livanskiy. Dann drei Mal verdichtete Improv-Klänge. Lydia Lunch hat Mia Zabelkas Longplayer »Cellular Resonance« fulminant-kraftvoll produziert, woraus »Cellular Resonance #5« die Auswahl auf der von »The Wire« im Monat November 2017 beigelegten CD-Kompilation »Tapper 45« krönte. Elena Kakaliagou/Ingrid Schmoliner beherrschen auf »Nabelóse« die Liedform auf ergreifende Art und Weise und Katharina Klement widmet Belgrad ein außergewöhnlich erfrischendes Soundportrait. Ana Threat (es folgt ein Artikel anlässlich ihres Gigs fürs skug.at Relaunch-Fest am 18. Jänner 2018) erweist sich einmal mehr als strahlende Königin der Subkultur, diesmal gewaltig schön im Track »Johnny Reinprecht« mit marschierender Drummachine und Staubsaugerschlauchgeräuschen im tribal-hypnotischen Voodoozauber und überdrehter Exoticastimme. PBB, Pupillo/Babel/Brötzmann erinnern an großartige Bluesrocktrios wie BBA (Beck/Bogert/Appice), spielen aber in einer ganz anderen Liga. Caspar Brötzmann ist mein Jimi Hendrix 2017, inferiorer Feedbackkrach allererster Güteklasse. Alles, bis auf Ana Threat, unter Rezensionen nachzulesen. Zum Finale hin noch von einschlägigen Medien überhörte, herausragende Songwriter/Bands, deren heurige Alben jeweils Meisterwerke sind. Und zum Schluss das bittere, bestürzend schöne Ende, ein Soundtrack zur sich verdüsternden Welt von The Eye of Time aka Marc Euvrie.

Cover_Cellular_Resonance_zu_Alfred.jpg1 Jlin: »Black Origami« (Planet Mu/Cargo/Trost)
2 Ziúr: »U Feel Anything?« (Objects Limited/Planet Mu/Trost)
3 Kedr Livanskiy: »Ariadna« (2MR)
4 Mia Zabelka: »Cellular Resonance« (LCR Records)
5 Elena Kakaliagou/Ingrid Schmoliner: »Nabelóse« (Corvo Records)
6 Katharina Klement: »Peripheries – Sound Portrait Belgrade« (Gruenrekorder)
7 Ana Threat: » Hypno-Trash Cassette Vol​.​X2« (Split audio cassette tape with The Boiler, HOUSE publications)
8 Pupillo/Babel/Brötzmann: »Live at Candy Bomber Studios Vol. I« (Karlrecords)
9 Sylvain Chauveau: »Post-Everything« (Brocoli)
10 Wes Swing: »And The Heart« (Greywood Label Services//Timezone)
11 Trupa Trupa: »Jolly New Songs« (Blue Tapes/Ici dʼailleurs/X-Ray Records)
12 The Eye of Time »Myth I: A Last Dance For The Things We Love« (Denovali/Cargo)

Encore: 12 Alben Hörgenuss, easier Listening by Alfred Pranzl

Gemäß Pauline Oliveros (zwei Artikel 2017) propagiere ich Deep Listening, nun mit einer eher harmonieseligeren Auswahl, quasi ein Entspannungsbogen. Mit Tonträgern, wo ich aus Zeitgründen leider keinen Review schaffte oder einem Heavy-Rotation-Airplay im Radio erlag. Die Bayern-2-Sendungen »Zündfunk« bzw. »Nachtmix« seien geneigten skug-LeserInnen wieder mal ans Herz gelegt!

1 Alea Saxophone Quartet: »Arvo Pärt – Anima« (Col Legno)
Die Instrumente des Alea Saxophone Quartet klingen nur bei genauem Hinhören nach der Erfindung von Adolphe Sax und tragen den Spirit von Arvo Pärts schlichten Kompositionen ins Universum.

2 Sylvain Chauveau & Chant 1450 Renaissance Ensemble: »Echoes of Harmony – Early Music Reworked« (Sub Rosa)
Wiederum Sylvain Chauveau, hier mit einer sacht elektronischen Nachbearbeitung Alter Musik mit Ensemble! Kontemplatives Eintauchen in die Welt der Renaissance mit Gegenwartsanspruch.

funkadelic_700_700.jpg3 Various Artists: »Funkadelic Reworked By Detroiters« (Ace Records)
Gleich noch eine Ûberarbeitung, und zwar vom Detroiter Techno-Adel. Dieser würdigt das gloriose Mothership Funkadelic, jedoch bleiben Artists wie Claude Young meist zu nahe am Original. Aber allein der relaxte und doch soooo megafunky-coole »Cosmic Slop« im Moodymann-Mix ist die Anschaffung wert.

4 Sudan Archives: »Sudan Archives« (Stones Throw)
Insgesamt mehr fasziniert die Afroamerikanerin Sudan Archives: Mit Streichersamples aus dem Sudan erinnert sie ein klein wenig an den Sound des Cellisten und Disco-Avantgardisten Arthur Russell.

5 Islaja: »Tarrantulla« (Svart Records)
Nicht nur auf finnischen Folkmelodien baut Merja Kokkonen aka Islaja, die auch bei Monika Werkstatt, einem Kollektiv von elektronischen Musikproduzentinnen, aktiv ist. Islaja improvisiert live, auf »Tarrantulla« regiert aber eine teils wundervoll ins Ätherische kippende Musik mit Synths, Saxophon, Flöten, und Streichern. Letztere kommen insbesondere im sinnlichen Opener-Track »Ghost from the Future« bestens zur Geltung.

6 Lee Gamble: »Mnestic Pressure« (Hyperdub)
UK-Clubkultur und Konzept, kein Widerspruch auf Lee Gamblers erstem Album für Hyperdub. Broken Beats, Haken schlagende Basslines, abgefeimte Synthspielereien, Post-Jungle-Hektisches mit Synthmelodien. Auch IDM, Rave, Acid House oder 2-Step liefern fragmentarisch Vorlagen für diese schillernden Soundskulpturen.

7 Hype Williams: »Rainbow Edition« (Big Dada/Ninja Tune)
Irgendwie scheint der Sound an Dean Blunts Babyfather-Tracks angelehnt. Mit 808-Basslines und verzerrten Billig-Keyboard-Sounds. Also geht auf dieser Duo-Inkarnation eine Magie davon aus, denn es schälen sich trotz Lo-Fi-Appeal immer wieder schöne Melodien heraus. Obskure Vokalschnipsel, die das Rassenthema beschwören, sind obligatorisch: »They wouldn’t really like this / The interracial thing/All I’ve got to say is Black Cards Matter«. Fragile Schräglage galore.

8 Shabazz Palaces: »Quazarz: Born On A Gangster Star« / »Quazarz vs. The Jealous Machines« (SubPop)
Das Konzeptdoppelalbum weist die HipHop-Innovatoren aus Seattle als wahre Sun-Ra-Nachfahren aus. Shabazz Palaces erzählen eine mystische Dystopie, wo Quazar und Awet auf einem Lichtstrahl ihren Afro-Planeten verlassen und auf der Erde bruchlanden. Smartphones erscheinen ihnen als Phantomspiegel, die sich im Lande der Fake News zu eifersüchtigen Maschinen auswachsen. Ishmael Butler und Tendai Maraire sind Conscious Rapper, die wissen, dass die Internettechnologie ablenkt und die Mehrzahl der Bürger gefangen nimmt, statt kritisch dagegen aufzustehen. Kurz noch zur Musik: Abgefahren psychedelisch outta space, am schönsten, wenn Samples aus Soul und R’n’B Raum greifen.

9 Orchestre Les Mangelepa: »Last Band Standing« (Strut/Hoanzl)
Legendäre Musiker aus dem Kongo, die sich in Nairobi niedergelassen haben. Geschmeidig fließen afrikanische Rumba, kongolesische Lingala-, kenianische Benga- und Chakacha-Musik zusammen. Musik zum Zurücklehen, die auch Zunder hat. Drei Vokalisten, eine solide Rhythmus-Achse, Gitarren und Gebläse greifen laid-back ineinander. Das neue Album ist ein Antidepressivum, das Riesenfreude ausstrahlt.

10 Bilderbuch: »Magic Life« (Maschin Records)
Selten hatte österreichische Popmusik so viel Funk und Glitzerbeiwerk im Tank. Still magic!

11 Dale Cooper Quartet & The Dictaphones: »Astrild Astrild« (Denovali)
Hat mehr Tiefe als Bohren und der Club of Gore. 72 Minuten-Soundscape für die Ewigkeit in einer dronigen Twilight-Zone à la Twin Peaks. Gedämpftes Sax, wabernde Keyboards, langgezogene Gitarren, phlegmatischer Bass und Beserl-Drums setzen Tupfer, croonende Vokals, meist ins Unheimliche driftend. Trotz Verströmens geisterhafter Dunkelheit ein Lichtblick.

12 Rocky Wood: »Ok, No Wait« (On The Camper Records)
Ganz leichter Post-Punk-Touch, dabei spielt dieses US-Schweizer Quintett ersprießlichen Gitarrenpop. Sängerin Romina Kalsi hat eine melancholisch gefärbte Stimme, doch die Gitarrenläufe perlen hell. Die Bandmitglieder leben in Berlin, Lugano und Bologna und das finale »Lisbon« ist ob seiner Traurigkeit natürlich kein Fado und gibt mit zunächst gedimmtem, dann fröhlicher werdendem Trompetenspiel so etwas wie einen Quell der Hoffnung.

Jetzt schlägt’s Dreizehn – politische Bücher, empfohlen von Alfred Pranzl

Diskurs befeuernde Bücher erschienen 2017 in hoher Qualität. In Medien, die nicht dem Ressentiment verfallen sind, sondern sich mit dem Zustand der Welt auf der Höhe der Zeit auseinandersetzen, wurden folgende Werke aus Soziologie, Geschichts- und Politikwissenschaft etc. immer wieder zitiert. Gespannter Bogen im Schnelldurchlauf: Nicht westzentrierte Weltsicht, die Betonung der Klassenfrage, wehrhafte Staatsbürger pro Demokratie, Querbezüge aus der Geschichte in die Gegenwart, Zwangsmaßnahmen für Griechenland als Rettung für deutsche und französische Banken und Ûbernahmefutter für Konzerne, nötige Rückgewinnung des Primats der Politik gegenüber Wirtschaftsinteressen … es gibt Gegenentwürfe zur scheinbar alternativlosen, neoliberalen Welt! Unbedingte Leseempfehlung auch für die Biografie von Robert Forster, wo es nicht nur um Musik geht, sondern auch darum, wie Wirtschaft und Politik das Leben gewisser sozialer Milieus verändern!

Arab_Porn_Matthes_Seitz_zu_Alfred_1_.jpg01 Pankaj Mishra »Das Zeitalter des Zorns. Eine Geschichte der Gegenwart« (S. Fischer)
02 Youssef Rakha »Arab Porn: Pornografie und Gesellschaft« (Matthes & Seitz)
03 Achille Mbembe »Critique of Black Reason« (Duke University Press)
04 Didier Eribon: »Rückkehr nach Reims« (Edition Suhrkamp)
05 Ulf Kadritzke: »Mythos Mitte. Oder: Die Entsorgung der Klassenfrage« (Bertz+Fischer)
06 Robert Pfaller: »Erwachsenensprache: »Ûber ihr Verschwinden aus Politik und Kultur« (S. Fischer)
07 Timothy Snyder: »Ûber Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand« (C. H. Beck)
08 Gerd Koenen: »Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus« (C. H. Beck)
09 Herfried Münkler: »Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648« (Rowohlt)
10 Yanis Varoufakis: »Die ganze Geschichte: Meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment« (Kunstmann)
11 Christian Felber: »Ethischer Welthandel. Alternativen zu TTIP, WTO und Co« (Deuticke)
12 Nikolaus Dimmel, Martin Schenk, Julia Hofmann, Martin Schürz (Hg.): »Handbuch Reichtum. Neue Erkenntnisse aus der Ungleichheitsforschung« (StudienVerlag)
13 Robert Forster: »Grant & Ich: Die Go-Betweens und die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft« (Heyne Hardcore)

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